Blindlings
den Fersen.
Am Rand der Schlucht deponierte ich meine Last und überdachte die Situation. Die Schlucht machte an dieser Stelle eine Biegung, und der Fluß hatte die Felswand unten so ausgewaschen, daß sie steil zum Wasser abfiel. Ich stieß die Leiche über den Rand und sah zu, wie sie mit schlegelnden Armen und Beinen hinabstürzte und in das graue, wirbelnde Wasser platschte. Von der im Jackett gefangenen Luft an der Oberfläche gehalten, wurde sie in die schnelle Strömung in der Flußmitte hinausgeschwemmt. Dann trieb sie flußabwärts, bis sie über dem Rand des Selfoss verschwand, um in den tosenden Hexenkessel zu stürzen.
Elin sah mich bedrückt an. »Was machen wir jetzt?« »Ich geh’ nach Süden«, verkündete ich und schritt eilig auf den Land-Rover zu. Als Elin mich eingeholt hatte, war ich bereits dabei, die ›Wanze‹ mit einem großen Stein zu zertrümmern.
»Warum nach Süden?« fragte sie atemlos. »Ich möchte nach Keflavik und zurück nach London. Da ist jemand, mit dem ich sprechen muß - Sir David Taggart.«
»Fahren wir über Myvatn?«
Ich schüttelte den Kopf und verpaßte der ›Wanze‹ einen letzten Schlag, damit sie keine verräterischen Signale mehr aussenden konnte. »Ich möchte die Hauptstraßen vermeiden -
das ist zu gefährlich. Ich fahre über Odadah-raun und an der Askja vorbei – in die Wüste. Aber du kommst nicht mit.«
»Das werden wir sehen«, entgegnete sie, warf den Autoschlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf.
3
Gott hat Island noch nicht zu Ende geschaffen. In den letzten fünfhundert Jahren ist ein Drittel aller aus dem Innern der Erde quellenden Lava in Island ans Tageslicht gekommen, und von zweihundert bekannten Vulkanen sind dreißig noch sehr aktiv.
Island leidet sozusagen an geologischer Akne.
In den letzten tausend Jahren konnte man im Durchschnitt alle fünf Jahre einen großen Vulkanausbruch registrieren.
Askja - der Aschenvulkan - brach zuletzt 1961 aus. Damals konnte man sogar auf den Dächern Leningrads Vulkanasche entdecken – also zweitausend Kilometer entfernt. Die Russen waren dadurch nicht sonderlich beunruhigt, aber das Land nördlich und östlich der Askja war ausgedörrt und verwüstet.
Die Lava hatte sich darüber ergossen und eine trostlose Öde hinterlassen. Das nordöstliche Island wird von der Askja beherrscht, die dort eine der furchteinflößendsten Landschaften der Welt geschaffen hat.
In diese Wüste, das Odddahraun, die abweisend und öde ist wie die Oberfläche des Mondes, fuhren wir nun. Odddahraun heißt soviel wie ›Mörderland‹ und war in alten Zeiten der letzte Zufluchtsort der Geächteten, der Ausgestoßenen und Vogelfreien.
Es gibt einige Fahrwege im Odädahraun. Sie sind mehr oder weniger Hinterlassenschaft jener, die sich bis ins Innere gewagt haben. Meistens handelt es sich dabei um Wissenschaftler, um Geologen und Hydrographen. Nur wenige fahren zum Vergnügen in diesen Teil des Öbyggdii. Jedes Fahrzeug fährt den Pfad ein bißchen mehr aus. Im Winter werden die Spuren wieder ausgelöscht - durch Wasser, Schneelawinen und Steinschläge. Wer, so wie wir, im Frühsommer ins Innere vordringt, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Pionier, der von Zeit zu Zeit auf den alten Weg stößt und ihn ein wenig mehr ausfährt. Findet er ihn nicht, so muß er sich einen neuen suchen.
Am ersten Vormittag kamen wir einigermaßen voran. Der Weg war passabel und nicht allzu holperig und verlief parallel zum Jökulsä a Fjöllum, der mit seinem graugrünen Schmelzwasser in den Arktischen Ozean fließt. Gegen Mittag waren wir auf gleicher Höhe mit dem auf der anderen Flußseite gelegenen Mödrudalur, und Elin stimmte den traurigen Klagegesang an, der die Notlage der Isländer im Winter schildert: ›Kurz ist der Morgen in den Bergen von Mödrudal.
Wenn die Sonne aufgeht, ist er schon halb vorbei.‹ Vermutlich entsprach das ihrer Gemütslage. Meine war nicht viel besser.
Ich hatte den Plan, Elin loszuwerden, längst aufgegeben.
Cooke wußte sowieso, daß sie in Asbyrgi gewesen war -die
›Wanze‹ am Land-Rover hatte sie verraten. Es konnte gefährlich für sie werden, wenn ich sie schutzlos in einer der Küstenstädte zurückließ. Cooke war Komplize bei einem Mordversuch gewesen, und Elin war Zeugin hierfür. Mir war klar, daß er alles daransetzen würde, sie zum Schweigen zu bringen. Bei mir war sie sicherer als irgendwo anders, so bedrohlich meine eigene Situation auch war.
Um drei Uhr nachmittags
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