Blindwütig: Roman
ihr die am Himmel segelnden Möwen und die braunen Pelikane angetan, die gelegentlich zu dritt oder zu viert vorbeiflogen.
Ich nahm Pennys Platz am Tisch ein und ging mit ihrem Laptop ins Internet. Ich musste mehr darüber erfahren, wie John Clitherows Familie zu Tode gekommen war.
Anfangs fürchtete ich mich davor, eine Gräueltat zu entdecken, deren Einzelheiten mich bis ins Mark erschütterten.
Stattdessen stieß ich bei meiner Suche auf eine Geschichte ohne Blut, die dennoch nicht weniger beunruhigend war.
Nach den Presseberichten hatten Tony und Cora Clitherow, die Eltern von John, am Michigansee gewohnt. In einem nahen Jachthafen hatten sie einen Anlegeplatz für ihr Boot gemietet, die Time Out , Typ »Bluewater 563«.
Als ich die Website der Herstellerfirma aufrief, fand ich sofort Fotos ähnlicher Fahrzeuge. Das Ruder der niedrig im Wasser liegenden Motorjacht war auf einem Oberdeck angebracht, geschützt von einem Dach und Segeltuchwänden. Im unteren Deck befanden sich eine große Kabine mit Kombüse und zwei Kajüten mit Bad.
Vor drei Jahren waren die Clitherows an einem Donnerstag Ende Juni zu einem Tagesausflug aufgebrochen. Mit seiner Ausstattung hätte das Boot über Nacht draußen bleiben können, aber die beiden hatten Michael Hanrahan, dem Besitzer des Hafens, gesagt, sie wollten vor Anbruch der Abenddämmerung zurückkehren.
Als es Nacht wurde, hatte das Boot zwar noch nicht wieder angelegt, aber Hanrahan war nicht besorgt genug, um es als vermisst zu melden. In der Vergangenheit hatten die Clitherows mehrfach unterwegs ihre Pläne geändert.
Am nächsten Tag versuchte die Küstenwache, die Time Out per Funk zu erreichen, und als das nicht gelang, wurde eine Suchaktion gestartet. Mit Hilfe des Transpondersignals fand man das Boot kurz nach vier Uhr nachmittags. Es trieb fünf Meilen vor dem Ufer in der Strömung.
Tony Clitherow saß angeschnallt oben am Ruder, nackt und tot. Die Todesursache war nicht ersichtlich.
Bei der Durchsuchung des Boots fand man keine Spur von Cora.
Dafür war am Heck eine Leine angebracht, die straff ins Wasser führte. Mit der Ankerwinde holte man sie ein.
Dadurch zog man Cora aus dem See wie einen toten Fisch. Sie trug ausschließlich Handschellen. Die Leine war durch die Schellen hindurchgeführt, um die Handgelenke geschlungen und mit zwei Karabinerhaken gesichert.
Cora war offenbar viele Meilen weit lebendig durchs Wasser geschleppt worden, zweifellos nachts, als man sie von anderen Booten aus nicht sehen konnte.
Während sie im Kielwasser der Jacht durch den See gezerrt wurde, hatte sie sich ständig dagegen wehren müssen, zu ertrinken. Da sie so angekettet war, dass sie sich nicht auf den Rücken drehen konnte, war sie bestimmt oft unter Wasser gezogen worden und dann wieder an die Oberfläche gekommen. Nach Luft schnappend, hatte sie sich verzweifelt bemüht, den Kopf oben zu halten.
Am Ende hatte die Erschöpfung gesiegt. Die Jacht war zwar kein Speedboot, konnte jedoch genügend Knoten machen, um der Geschleppten große Qualen zuzufügen. Coras Körper war mit winzigen Blutergüssen übersät.
Der unablässige Aufprall des Wassers oder darin enthaltene Gegenstände hatten das linke Augenlid abgetrennt. Beide Augen waren starr wie buntes Glas.
Dem Anschein nach war Coras toter Mann für diese Tat verantwortlich. Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung war das jedoch nicht schlüssig nachzuweisen. Schon bei der Autopsie von Tony Clitherow ergaben sich Widersprüche.
Die Alkoholmenge in seinem Magen und der Promillegehalt des Bluts ließen darauf schließen, dass er an Alkoholvergiftung gestorben war. Wäre er jedoch tatsächlich so betrunken gewesen, so hätte er sich irgendwann übergeben müssen, und
dafür gab es weder an seinem Körper noch auf dem Bootsdeck irgendwelche Spuren.
Der mit dem Fall befasste Kriminalbeamte, er hieß Warren Knowles, hatte sich gegen die Vermutung ausgesprochen, Tony Clitherow habe seine Frau umgebracht. Als Indiz führte er einen Riss am Rand von Clitherows rechtem Nasenflügel und einen Bluterguss in dessen Gesicht an. Laut Knowles weckte das den Verdacht, man habe Clitherow durch die Nase gewaltsam einen Schlauch in den Schlund geschoben, um ihm massenhaft Alkohol einzuflößen.
Nach Ansicht des Gerichtsmediziners waren diese Verletzungen jedoch eher durch einen Sturz im betrunkenen Zustand verursacht worden oder durch Cora Clitherow, die sich dagegen gewehrt hatte, von ihrem Mann gefesselt zu
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