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Blindwütig: Roman

Titel: Blindwütig: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz , Bernhard Kleinschmidt
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sollen.
    Selbst unter besseren Umständen fiel es mir jedoch schwer, in einem fahrenden Auto einzuschlafen. Die wohl wichtigste Kraft, die mein Leben bestimmte, war die Neugier darauf, wohin ich mich bewegte, nicht innerhalb eines Tages oder einer Woche, sondern am Ende meiner Reise. Die Vorwärtsbewegung eines Wagens weckte in mir diesen lebenslangen
Impuls, der ebenso Sehnsucht wie Wissbegierde war, und mit jeder Meile wurde ich ruheloser.
    »Manchmal mache ich mir Sorgen um Milo«, sagte ich mit geschlossenen Augen zu Penny. »Im Bunker vorhin ist mir klargeworden, dass du dieselbe Kindheit hattest wie er. Du wurdest zu Hause unterrichtet. Keine gleichaltrigen Freunde. Deine Welt war auf deine Familie beschränkt, also eine Art Isolation. Was waren eigentlich die Nachteile einer solchen Kindheit?«
    »Die gab es nicht«, antwortete Penny, ohne zu zögern. »In einer liebevollen Familie aufzuwachsen, bei Eltern, die nicht nur Sinn für Humor und einen gesunden Menschenverstand haben, sondern auch noch über die Welt staunen können - das ist keine Isolation, sondern ein wunderbares Nest.«
    Ich liebte den Klang ihrer Stimme ebenso wie den Anblick ihres Gesichts. Mit geschlossenen Augen konnte ich ihre Schönheit zwar nicht sehen, aber hören konnte ich sie durchaus.
    »Mehr als ein Nest«, sagte sie. »Es ist ein geschützter Raum, in dem man selbst entscheiden kann, wer man ist und was man über die Welt denkt, bevor die Welt einem sagt , wer man ist und was man über sie denken sollte.«
    »Du hattest dein Talent zum Schreiben und Zeichnen, so wie Milo ein Talent für … irgendetwas anderes hat. Fragst du dich nicht, ob eine Kindheit mit weniger Isolation und mehr Erfahrungen eine andere Künstlerin aus dir gemacht hätten?«
    »Eine, die ich nicht sein möchte. Als ich auf die Kunstakademie kam, wollte ich nur eine bessere Technik lernen. Ich hatte meinen eigenen Stil schon entwickelt, deshalb haben mich selbst die autoritärsten Professoren nicht verdorben.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte ich: »Was für eine magische Welt wir doch haben - in der es Leute wie deine
Eltern gibt, die so leben, wie sie es tun, und ein Wunder wie dich aufgezogen haben.«
    »Ich bin kein größeres Wunder als irgendjemand anders, und das ist es, was die Welt magisch macht. Jedes Baby trägt den Keim für ein Wunder in sich, und der wird entweder gehegt oder nicht. Als Kind bin ich mit Begeisterung in die Festung hinabgestiegen. Die war für mich wie aus einem Buch von Tolkien, ein Hobbitheim.«
    Ich öffnete die Augen. Die sechsspurige Straße und die Hügel zu beiden Seiten schienen nicht auf das Licht der Scheinwerfer zu warten, sondern sich aufzulösen, bevor dieses Licht mehr von ihnen offenbaren konnte. Der Asphalt, die anderen Autos, die Leitplanken und die Landschaft zerschmolzen im Regen, so dass man meinen konnte, wir würden auf den Rand eines Abgrunds zufahren.
    »Siebzig Prozent der Leute, die im Gefängnis sitzen, sind ohne Vater aufgewachsen«, sagte Penny. »Ich hatte Glück, denn ich hatte sozusagen anderthalb Väter.«
    Als ich die Augen wieder schloss, blieb das Bild der schmelzenden Welt mir im Sinn und trug mich in den Schlaf.
    In meinem vertrauten Traum, in dem ich mich allein und verloren fühlte, ging ich eine verlassene Landstraße entlang, die durch eine flache Salzwüste führte. Keine einzige Wolke stand am Himmel, kein Vogel flog dahin, kein Luftzug ging, und es gab keinerlei Markierungen, die den Asphalt in Fahrstreifen geteilt hätten. Das einzige auffällige Detail war die Blutspur, die auf einen nicht klar erkennbaren Horizont zulief.
    Das Läuten eines Telefons weckte mich. Wieder war es nicht das Wegwerfhandy, sondern mein normales.
    Während ich es aus meiner Brusttasche fummelte, sagte Penny fragend: »Willst du wirklich annehmen?«

    Ich zögerte, nahm den Anruf aber doch entgegen.
    John Clitherow - Verfasser eines von Shearman Waxx verrissenen Romans und Autor auf der Flucht - sagte: »Cullen, ich muss Ihnen erzählen, wie meine Frau und meine Töchter zu Tode gekommen sind.«

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    »Ich muss es Ihnen erzählen«, wiederholte John Clitherow. »Es geht nicht anders.«
    Im Schlaf war ich auf meinem Sitz zusammengesunken. Als ich mich nun aufrichtete, sah ich, dass wir uns auf einem einsamen Streckenabschnitt befanden. Auf den Hügeln ringsum waren nur wenige Lichter zu sehen. »Ich habe viel an Sie gedacht«, sagte ich ins Telefon. »Inzwischen habe ich recherchiert und weiß, was

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