Blindwütig: Roman
wollte ich nicht, dass er von dem brutalen Mord an John Clitherow oder dessen Bericht über den Untergang seiner Familie erfuhr. Deshalb nutzte ich die Gelegenheit, Penny zu informieren, in der gebotenen Kürze, aber ohne sie vor etwas zu verschonen.
Sie behauptete zwar nicht, meine Geschichte hätte ihr Appetit auf mehr gemacht, aber sie nahm die schaurigen Einzelheiten einigermaßen gefasst hin. Genauer gesagt, sie warf während meines Berichts nur etwa dreißig- bis vierzigmal einen besorgten Blick auf das Wagenfenster, hinter dem unser Sohn schlief.
Sobald der Benzinstrom versiegt war, hängte sie den Zapfhahn wieder ein. Statt einzusteigen, blieben wir jedoch unter dem Dach stehen und sahen zu, wie unser Atem in der kühlen Luft zu kleinen Wolken kondensierte.
»Also hat Waxx einen Komplizen«, sagte sie. »Einen, der ebenfalls in die Klapsmühle gehört.«
»So hat er sich jedenfalls angehört.«
»Das erklärt, weshalb er in so kurzer Zeit so viel anstellen konnte.«
»John Clitherow hat ihn als rastlos bezeichnet. Es ist natürlich leichter, das zu sein, wenn man Unterstützung hat.«
»Was zum Teufel steckt bloß dahinter, Cubby? Bei seinem ersten Anruf hat Clitherow dir doch gesagt, Waxx habe zwar keine vernünftigen Meinungen, aber ein Ziel. Welches Ziel?«
»Ich glaube nicht, dass Clitherow das wusste. Er hat es nur vermutet. Aber kann ein Wahnsinniger überhaupt ein Ziel haben, das etwas anderes als wahnsinnig ist? Selbst wenn wir es kennen würden, dann könnten wir ihn trotzdem nicht verstehen und wären auch nicht besser in der Lage, gegen ihn anzukommen. Er ist eben geisteskrank, und solche Typen sind unberechenbar.«
»Hm«, sagte Penny. »Ich bin nicht so sicher, dass ein Psychiater ihn wirklich für geisteskrank erklären würde.«
»Vorsicht, Süße, sonst halte ich dich noch für übergeschnappt.«
»Ach«, sagte sie, »komplett irrsinnig ist er schon, zugegeben, aber er gehört zu der Elite, von der die kulturellen Regeln festgelegt werden, und dazu gehört auch, wer als geisteskrank gilt und wer nicht. Solche Leute sperren sich nicht selbst in die Klapsmühle. Sie haben den Schlüssel dazu.«
»Du meinst, die Irren leiten das Irrenhaus, ja?«
»Willst du etwa behaupten, das wäre dir nicht auch schon aufgefallen?«
»Klingt ganz so, als wärst du bald bereit, für uns ebenfalls eine Festung zu bauen.«
»Glaub nicht, ich hätte nicht schon darüber nachgedacht!«
»So, so. Hör mal, Penny, wir müssen unsere Pläne ändern.«
»Welche Pläne? Landulf?«
Thomas Landulf, der Autor von Der Falkner und der Mönch , der angeblich seine Frau und seine Tochter grausam gefoltert und ermordet hatte, bevor er sich selbst in Brand setzte, hatte
im Norden Kaliforniens gelebt, in einem kleinen Ort namens Smokeville, nicht weit von der Grenze zu Oregon. Dorthin waren wir eigentlich unterwegs.
In unserer Verzweiflung schienen uns die Morde an Landulf und seiner Familie die einzige Möglichkeit zu sein, Indizien gegen Waxx zu sammeln. Wenn Landulf an seinem Wohnort beliebt gewesen war, dann zweifelten die Leute dort womöglich an der offiziellen Version der Geschichte. Vielleicht wussten sie etwas, das bei der Untersuchung nie ans Tageslicht gekommen und von den Medien berichtet worden war, uns aber weiterhelfen konnte.
»Clitherow sollte uns als warnendes Beispiel dienen«, sagte ich. »Er war offenbar in Sicherheit. Dann hat er versucht, uns zu helfen, und dadurch hat er Waxx eine Chance verschafft, ihn wiederzufinden. Wenn wir anfangen, da oben in Smokeville herumzuschnüffeln, dann bekommen Waxx oder sein Kumpel, der Bruder der ganzen Menschheit, womöglich Wind davon.«
Den Blick, den sie mir zuwarf, hätte ich bestimmt nicht fotografiert, um ihn in unserem Album schöner Erinnerungen für die Ewigkeit aufzubewahren.
»Und was willst du stattdessen tun?«, fragte sie. »Willst du etwa nach Laguna Beach fahren, um beim Haus von Waxx an die Tür zu klopfen und ihn zur Rede zu stellen?«
»Nein danke, das kommt nicht infrage. Schließlich habe ich Das Schweigen der Lämmer gesehen. Ich weiß, was Leuten zustößt, die sich ins Haus von Mr Gumb wagen.«
»Wie sieht dein Plan B dann aus?«
Ich lauschte aufmerksam, hörte mich jedoch kein Wort sagen. Nur Atemwolken quollen aus meinem halboffenen Mund.
»Sollen wir auf jedes normale Leben verzichten und für immer auf die Flucht gehen wie John Clitherow?«, bohrte Penny weiter.
»Nein, nein. Ich weiß schon, dass das nicht geht. In
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