Blink! - die Macht des Moments
Einflüsse unser Unbewusstes auf eine falsche Fährte geführt wird. Es klingt
so, als wäre es ein Kinderspiel, ein Urteil über Musik zu fällen. Aber das ist es nicht – ebenso wenig wie Cola zu testen,
Stühle zu bewerten oder Marmeladen zu benoten. Ohne Wandschirm wäre Abbie Conant durchgefallen, noch ehe sie den ersten Ton
spielen konnte. |245| Mit dem Wandschirm war sie mit einem Mal gut genug für die Münchner Philharmoniker.
Was geschah, als die Orchester mit ihrem eigenen Vorurteil konfrontiert wurden? Sie lösten das Problem – und das ist die zweite
wichtige Lektion von
Blink!.
Allzu oft resignieren wir vor der Macht des Augenblicks. Wir glauben, wir hätten keinen Einfluss auf die Entscheidungen, die
aus unserem Unbewussten an die Oberfläche kommen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir das Umfeld kontrollieren, in dem
unser schnelles Denken stattfindet, können wir auch dieses kontrollieren.
»Wenn ich ein Kunstwerk begutachten soll, dann bitte ich die Händler, ein schwarzes Tuch darüber zu hängen und es erst herunterzuziehen,
wenn ich davorstehe, damit ich mich total auf diesen einen Gegenstand konzentrieren kann«, erzählt Thomas Hoving. »Während
meiner Zeit am Metropolitan Museum habe ich meine Sekretärin oder einen anderen Kurator stets gebeten, ein neues Objekt, das
wir vor einer möglichen Anschaffung begutachten sollten, irgendwo hinzustellen, wo ich in einem Überraschungsmoment darüber
stolpern würde: in der Garderobe zum Beispiel. Ich mache die Tür auf, und da steht es dann plötzlich. Und entweder habe ich
dann spontan ein gutes Gefühl, oder ich entdecke etwas, was ich vorher nicht gesehen habe.« Hoving maß seinen Spontanurteilen
so viel Bedeutung bei, dass er alles tat, um seine ersten Eindrücke so verlässlich wie möglich zu machen. Er sah das Unbewusste
nicht als magische Kraft, sondern als etwas, das er schützen, kontrollieren und weiterentwickeln konnte. Als er den ersten
Blick auf den Kouros warf, war er vorbereitet.
Die Tatsache, dass heute mehr und mehr Frauen in Sinfonieorchestern spielen, ist keine Kleinigkeit. Hier eröffnen sich neue
Möglichkeiten für eine Gruppe, der diese bislang verwehrt waren. Seit der erste Eindruck bei Aufnahmeverfahren so kontrolliert
wird, dass er auf das musikalische Können gerichtet ist, stellen Orchester auch insgesamt bessere Musiker ein, und das wiederum
bedeutet, dass uns in den Konzertsälen bessere Musik geboten |246| wird. Und wie hat sich die Qualität der Musik verbessert? Nicht durch eine völlige Umorganisation der gesamten Welt der klassischen
Musik, nicht durch neue Konzerthäuser oder millionenschwere Investitionen, sondern allein, indem wir einem winzigen Detail
Aufmerksamkeit schenken, nämlich den ersten beiden Sekunden eines Probespiels.
Als Julie Landsman für die Stelle der Solohornistin des Orchesters der Metropolitan Opera vorspielte, waren die Wandschirme
gerade eingeführt worden. Damals hatte das Orchester nur männliche Blechbläser, weil ja jeder »wusste«, dass eine Frau nicht
in der Lage war, das Horn mit derselben Meisterschaft zu spielen wie ein Mann. Aber Landsman spielte vor, und sie spielte
gut. »In der letzten Runde habe ich gewusst, dass ich gewonnen hatte, bevor sie es mir gesagt haben«, erzählt sie. »Das hat
daran gelegen, wie ich das letzte Stück gespielt habe. Ich habe das letzte hohe C extrem lange gehalten, nur um keinen Zweifel
aufkommen zu lassen. Sie haben angefangen zu lachen, weil sie merkten, dass ich ihnen etwas demonstrieren wollte.« Als sie
schließlich zur Siegerin erklärt wurde und hinter dem Schirm hervortrat, ging ein Raunen durch den Raum. Der Grund war nicht
nur, dass sie eine Frau war und Hornistinnen so selten sind, wie es bei Conant der Fall war. Es war nicht dieses selbstbewusste,
lang ausgehaltene hohe C, ein Machoklang, den man nur von Männern erwartet hätte. Nein, der Grund war, dass die Mitglieder
der Jury sie bereits kannten. Landsman war zuvor gelegentlich als Ersatz eingesprungen. Aber erst, als sie ihr ganz objektiv
zugehört hatten, hatten sie festgestellt, wie gut sie wirklich war. Als der Schirm die Voraussetzungen für einen perfekten
Blink-Moment geschaffen hatte, geschah ein kleines Wunder. Es war die Art von Wunder, die immer dann möglich ist, wenn wir
die ersten beiden Sekunden wirklich ernst nehmen: Die Jury hörte Landsman so, wie sie wirklich
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