Blink! - die Macht des Moments
wenn dieser Prozess des schnellen Denkens an irgendeiner Stelle gestört
oder in seinem Fluss unterbrochen wird? Was passiert, |82| wenn wir eine Augenblicksentscheidung treffen, ohne jemals unter die Oberfläche vorgedrungen zu sein?
Im vorigen Kapitel habe ich John Barghs Experimente vorgestellt, die zeigen, dass wir derart starke Assoziationen mit bestimmten
Wörtern (wie etwa »besorgt«, »Heim«, »still«, »alt«, »einsam«, »grau«, oder »runzeln«) haben, dass sie unser Verhalten beeinflussen
können, wenn wir sie nur hören oder lesen. Genauso haben wir Assoziationen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen wie etwa
Größe, Körperbau, Hautfarbe und Geschlecht, die ganz ähnliche Reaktionen auslösen können. Viele Menschen, die Warren Harding
sahen, kamen allein aufgrund seines außergewöhnlich attraktiven und distinguierten Äußeren zu dem völlig unbegründeten Schluss,
er müsse ein mutiger, integrer und intelligenter Mann sein. Sie blickten nicht unter die Oberfläche. Sein Aussehen löste so
viele Assoziationen aus, dass der normale Denkprozess zum Stillstand kam.
Diese Warren-Harding-Falle zeigt uns, dass unsere unbewussten Denkprozesse auch ihre dunkle Seite haben. Ein Gutteil unserer
Vorurteile und Diskriminierungen geht auf das Konto dieser Art von Täuschung. Weil wir immer wieder in dieser Warren-Harding-Falle
laufen, ist es gar nicht so einfach, den richtigen Mann oder die richtige Frau für einen Job zu finden, und aus diesem Grund
werden so viele verantwortungsvolle Positionen mit mittelmäßigen Führungskräften besetzt. Wenn wir in
Blink!
über die Methode des Scheibchenschneidens und erste Eindrücke sprechen, dann müssen wir einerseits unsere antrainierten Vorurteile
über Bord werfen und lernen, dass wir manchmal in einem kurzen Augenblick mehr wahrnehmen als in monatelangen Untersuchungen.
Aber wir müssen uns auch sehr genau ansehen, wann und warum unsere unbewussten Denkprozesse uns in die Irre führen können.
|83| Schwarz-Weiß-Denken
In den vergangenen Jahren haben sich eine Reihe von Psychologen mit unseren unbewussten – oder, wie sie sagen, impliziten
– Assoziationen beschäftigt und insbesondere gefragt, welche Rolle diese in unseren Glaubenssätzen und unserem Verhalten spielen.
Ein wichtiges Instrument war dabei der Implicit Assocation Test (IAT). Dieser Test, der von Anthony G. Greenwald, Mahzarin
Banaji und Brian Nosek entwickelt wurde, um unsere impliziten Assoziationen zu ermitteln, basiert auf einer einfachen, aber
profunden Erkenntnis: Wenn in unserem Gedächtnis bereits eine Verbindung zwischen zwei verschiedenen Vorstellungen vorhanden
ist, dann stellen wir in einer neuen Situation eher eine neue Verbindung zwischen diesen beiden her, als wenn wir mit zwei
Vorstellungen konfrontiert sind, die in unserem Gedächtnis so noch nicht verbunden sind. Das klingt kompliziert, wird aber
mit einem Beispiel schnell deutlich. Auf der nächsten Seite sehen Sie eine Liste von Wörtern. Nehmen Sie einen Bleistift und
ordnen Sie jedes der Wörter in die richtige Kategorie ein, indem Sie rechts oder links des jeweiligen Wortes ein Kreuzchen
machen. Es reicht auch, wenn Sie einfach mit dem Finger auf die linke oder die rechte Spalte deuten. Machen Sie es, so schnell
Sie können. Überspringen Sie keine der Zeilen. Und machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob Sie Fehler machen – es geht
nicht um richtig oder falsch.
Ziemlich einfach, oder? Das liegt daran, dass wir nicht lange nachdenken müssen, ob »Hans«, »Robert« oder »Sarah« männliche
oder weibliche Namen sind. In unserem Gehirn besteht bereits eine starke Verbindung zwischen einem Vornamen wie »Klaus« und
der Vorstellung »Mann« und einem Vornamen wie »Elisabeth« und der Vorstellung »Frau«.
Das war eine Aufwärmübung. Jetzt sehen wir uns einmal einen tatsächlichen IA-Test an. Er funktioniert genauso wie die Aufwärmübung,
bloß werden nun ganz unterschiedliche Kategorien zusammengefasst. Machen Sie wieder ein Kreuzchen links oder rechts des Wortes,
je nachdem, zu welcher Kategorie es gehört.
Ich nehme an, das war nicht mehr ganz so einfach, aber Sie konnten Ihre Kreuzchen immer noch recht schnell machen. Nun versuchen
Sie sich hieran:
Haben Sie den Unterschied bemerkt? Ich nehme an, dieser Test war ein bisschen schwieriger als der vorige. Die meisten Menschen |87| brauchen ein bisschen länger, um Wörter wie »Unternehmen« oder
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