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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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man empfindet, wenn man jemanden übers Ohr
     gehauen hat.«
    Ekman ließ das Video weiterlaufen. »Hier passiert noch etwas anderes«, sagte er. Auf dem Bildschirm beantwortete Philby gerade
     eine weitere Frage des Reporters. »Natürlich sind die Fragen, die die Angelegenheit von Burgess und Maclean aufwirft, von
     großer« – hier macht er eine Pause – »Empfindlichkeit.« Ekman drückte die Pausetaste und hielt das Band an. »Hier«, sagte
     er. »Ein sehr subtiler Mikro-Gesichtsausdruck von Leid oder Unglück. Es sind nur die Augenbrauen – es ist sogar nur die eine
     Augenbraue.« Und tatsächlich zog Philby seine rechte Augenbraue zu einer unverkennbaren Aktionseinheit 1 nach oben. »Es ist
     nur ganz kurz«, sagte Ekman. »Er macht es unabsichtlich. Aber es widerspricht seiner nach außen zur Schau gestellten Selbstsicherheit. |208| Es passiert, als er über Burgess und Maclean spricht, denen er eine Warnung zugespielt hat. Das ist ein Warnsignal und bedeutet,
     dass Sie nicht alles glauben sollten, was Sie hören.«
    Was Ekman hier beschreibt, sind die konkreten physiologischen Grundlagen des Scheibchenschneidens. Jeder von uns kann mühelos
     und automatisch Gedanken lesen, denn die Hinweise, die wir brauchen, um eine Person oder eine Situation zu verstehen, stehen
     unserem Gegenüber buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Wir müssen vermutlich keine so brillanten Gesichtsleser sein wie Ekman
     oder Tomkins, und ein so subtiles Vorüberhuschen von Gefühlen wie bei Kato Kaelins Verwandlung in einen zähnefletschenden
     Hund würde uns wahrscheinlich entgehen. Doch wir haben ausreichend Informationen, um zu alltagstauglichen Ergebnissen zu kommen.
     Wenn jemand zu uns sagt »Ich liebe dich«, dann sehen wir ihn oder sie sofort an, denn nach einem direkten Blick ins Gesicht
     wissen wir – oder wissen wir besser –, ob das Gefühl echt ist oder nicht. Sehen wir Zärtlichkeit und Freude? Oder huscht da
     ein Mikro-Ausdruck von Leid und Unglück über das Gesicht? Ein Säugling sieht Ihnen in die Augen, wenn Sie Ihre Hände um seine
     legen, denn er weiß, dass er dort eine Erklärung für Ihr Verhalten finden wird. Spannen Sie die Einheiten sechs und zwölf
     (den
Orbicularis
oculi, Pars orbitalis
und den
Zygomaticus major
), um Freude auszudrücken? Oder ziehen Sie Aktionseinheiten 1, 2, 4, 5 und 20 zusammen (
Frontalis, Pars medialis; Frontalis, Pars lateralis;
den
Depressor Supercilii;
den
Levator palpebrae superioris
und den
Risorius
), was das Kind intuitiv als klares Anzeichen von Furcht deuten würde?
    Wir stellen diese komplizierten, blitzschnellen Überlegungen an, jeden Tag, ohne darüber nachzudenken. Das macht den Fall
     von Amadou Diallo umso rätselhafter. Aus unerfindlichen Gründen waren Sean Carroll und seine Kollegen in der Nacht des 4.
     Februar 1999 nicht dazu in der Lage. Diallo war unschuldig, erst neugierig, dann verängstigt, und jedes dieser Gefühle muss
     ihm |209| ins Gesicht geschrieben gewesen sein. Doch die Polizisten waren nicht in der Lage, es zu lesen. Wie konnte das passieren?
    Ein Mann, eine Frau und ein Lichtschalter
    Um zu verstehen, was passiert, wenn ein Mensch keine Gedanken lesen kann, beschäftigen sich Wissenschaftler häufig mit dem
     Phänomen des Autismus. Wenn jemand autistisch ist, dann ist er oder sie in den Worten des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen
     »blind für die Gefühlszustände anderer«. Autisten haben oft größte Schwierigkeiten, all die Dinge zu leisten, die ich bislang
     als völlig normale und automatische Prozesse beschrieben habe – wenn sie überhaupt dazu in der Lage sind. Es fällt ihnen schwer,
     nichtverbale Signale wie Gesten oder Gesichtsausdrücke zu verstehen, sich in die Lage eines anderen Menschen hineinzuversetzen
     oder andere als nichtwörtliche Bedeutungen von Wörtern zu verstehen. Der Teil des Gehirns, in dem wir unsere ersten Eindrücke
     verarbeiten, ist bei ihnen weitgehend funktionsuntüchtig. Die Art und Weise, wie Autisten die Welt erleben, lässt uns besser
     verstehen, wie es wäre, wenn wir mit einem Mal nicht mehr in der Lage wären, uns in unser Gegenüber einzufühlen.
    Ami Klin ist einer der führenden Autismus-Experten der USA. Klin unterrichtet am Zentrum für Kinderpsychologie der Universität
     Yale in New Haven, Connecticut. Seit Jahren arbeitet er dort mit einem Patienten, den ich Peter nennen will. Peter ist Mitte
     40, ist hochintelligent, hat eine Universitätsausbildung und lebt und

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