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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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wir unsere Gefühle bewusst. Doch
     das System, das nicht unserem Willen unterliegt, ist in vielerlei Hinsicht wichtiger: Mit diesem System hat uns die Evolution
     ausgestattet, um unsere tatsächlichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
    »Es ist Ihnen bestimmt auch schon passiert, dass jemand einen Kommentar über Ihren Gesichtsausdruck abgegeben hat, von dem
     Sie gar nicht wussten, dass Sie ihn gemacht haben«, sagt Ekman. »Jemand fragt plötzlich: ›Worüber ärgerst du dich denn?‹ oder
     ›Was grinst du denn so?‹ Ihre Stimme können Sie hören, aber Ihr Gesicht können Sie nicht sehen. Wenn wir wüssten, was sich
     auf unserem Gesicht abspielt, dann könnten wir es besser verbergen. Aber das wäre nicht unbedingt ein Vorteil. Stellen Sie
     sich vor, wir hätten eine Art Schalter, mit dem wir unsere Mimik abstellen könnten. Wenn Babys einen solchen Schalter hätten,
     dann wüssten wir nicht, was sie fühlen, und das wäre für einen Säugling eine echte Gefahr. Man könnte durchaus behaupten,
     dass dieses System sich entwickelt hat, damit Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder erkennen und auf sie reagieren können. Oder
     stellen Sie sich vor, |206| Ihr Ehepartner hätte einen solchen Schalter. Es wäre unmöglich, eine Beziehung mit ihm zu führen. Ich glaube nicht, dass Liebe,
     Zuneigung, Freundschaft oder Nähe möglich wären, wenn unsere Gesichter nicht so funktionieren würden, wie sie funktionieren.
    Ekman schob ein Video des O.-J.-Simpson-Prozesses in den Videorekorder. Es zeigte, wie Kato Kaelin, Simpsons strubbeliger
     Hausgast, von der Staatsanwältin Marcia Clark befragt wird. Kaelin sitzt im Zeugenstand und macht ein teilnahmsloses Gesicht.
     Clark stellt eine feindselige Frage. Kealin beugt sich nach vorn und antwortet mit leiser Stimme. »Haben Sie das gesehen?«
     fragte mich Ekman. Ich hatte nichts gesehen, Kaelin erschien mir harmlos und passiv. Ekman hielt das Band an, spulte zurück
     und wiederholte die Passage in Zeitlupe. Auf dem Bildschirm sah ich, wie Kaelin sich nach vorn beugt, um die Frage zu beantworten.
     Doch in diesem Moment, im Bruchteil einer Sekunde, verändert sich sein Gesicht völlig. Seine Nase runzelt sich, als er seinen
Levator
Labii superioris alaeque nasi
anspannt. Er bleckt die Zähne und senkt die Augenbrauen. »Das war fast eine vollständige Aktionseinheit 9«, erläuterte Ekman.
     »Er zeigt Ekel und ein bisschen Wut. Wenn die Augenbrauen sich senken, dann sind die Augen normalerweise nicht so weit geöffnet
     wie hier. Das hochgezogene Augenlid ist ein Zeichen für Zorn, nicht für Ekel. Es geht ganz schnell.« Ekman hielt das Band
     an und spielte es erneut. »Er sieht aus wie ein knurrender, zähnefletschender Hund.«
    Dann spielte er mir ein weitere Videoaufzeichnung vor, diesmal von einer Pressekonferenz, die Harold »Kim« Philby 1955 gegeben
     hatte. Noch war Philby nicht als sowjetischer Spion enttarnt worden, doch zwei seiner Kollegen, Donald Mclean und Guy Burgess,
     hatten sich gerade in die Sowjetunion abgesetzt. Philby trägt einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd. Seine Haare sind akkurat
     gescheitelt, sein Gesicht zeigt einen hochmütigen Ausdruck.
    »Mr. Philby«, beginnt der Reporter, »der Außenminister Mr. Macmillan sagt, es lägen keinerlei Beweise dafür vor, dass Sie
     der |207| so genannte dritte Mann waren, der Burgess und MacLean eine Warnung zugespielt hat. Sind Sie zufrieden, dass Sie damit von
     jeder Anschuldigung befreit sind?«
    Philby antwortet selbstsicher und im näselnden Tonfall der englischen Oberschicht. »Ja, das bin ich.«
    »Nun, wenn es einen dritten Mann gegeben haben sollte, waren Sie dann dieser dritte Mann?«
    »Nein«, antwortet Philby mit derselben Sicherheit. »Nein, das war ich nicht.«
    Ekman spulte das Band zurück und spielte es noch einmal in Zeitlupe ab. »Sehen Sie sich das an«, sagte er und zeigte auf den
     Bildschirm. »Zweimal bekommt er eine ernste Frage darüber gestellt, ob er Hochverrat begangen hat, und jedes Mal sieht es
     so aus, als würde er ein Grinsen unterdrücken. Er sieht aus wie die Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat.« Der Ausdruck
     war nicht länger als ein paar Sekundenbruchteile zu sehen. Aber in Zeitlupe war es ganz deutlich zu erkennen: Die Lippen waren
     zusammengepresst, und er sah aus, als wäre er rundherum zufrieden mit sich und der Welt. »Sieht so aus, als würde er sich
     diebisch freuen, oder?« fuhr Ekman fort. »Das ist die Art diebischer Freude, die

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