Blitz bricht aus
denn er bemerkte einzeln stehende Eichen und Fichten, deren Blätter und Nadeln sich in einem sanften kühlen Wind bewegten. Er fühlte Hoffnung in sich aufsteigen, und der Lebenswille regte sich in ihm.
An diesem Tage wurde er schon mehrerer Dinge bewußt. Er entdeckte, daß ein Maultier ihn trug. Er erkannte es an den langen Ohren, die bei jedem Schritt nickten. Ferner merkte er, daß der Mann neben ihm etwas zur Seite geneigt dahinschritt, um seinen Körper zu stützen und auf dem Rücken des Maultiers festzuhalten. Sein Gesicht konnte er nicht sehen. Viele Stunden wand sich der Weg in die Höhe. Die Berge wuchsen höher, und der Baumwuchs wurde dichter. Die Sonne schien warm und einschläfernd, aber nicht mehr heiß. Allmählich wurde die Luft scharf und klar. Immer noch weit in der Ferne hoben sich die scharfen Zacken des Gebirges von dem wolkenlosen Himmel ab. Der Junge betrachtete das alles, so lange er imstande war, die Augen offen zu halten, dann schlief er wieder ein.
Als er erwachte, befanden sie sich in einem lichten Wald hoher Fichten. Der Boden war mit smaragdgrünem Gras bedeckt. Sie kreuzten eine kleine Wiese, die sich ein Stück hinzog, bis sie wieder in den Hochwald kamen. Jetzt war der Boden mit den abgefallenen, samtweichen Nadeln vom Vorjahr bedeckt, so daß weder die Huftritte des Maultiers noch die Schritte des Mannes zu hören waren. Sie gingen immer höher. Manchmal passierten sie dabei offen liegende Wiesen; meistens aber wanderten sie unter dem Schutz der hohen Fichten dahin.
Den Rest des Nachmittags verbrachte er im Halbschlaf. Er atmete mit Behagen den würzigen Duft der Nadelbäume ein und genoß den frischen Wind, der in den Baumkronen spielte, daß es wie Orgelton klang.
Bei Sonnenuntergang erreichten sie wieder eine offene Wiese. Mitten auf dem grünen Grasteppich stand eine Hütte, umgeben von großen Beeten bunter Blumen, die ein Zaun beschützte. Als sie sich der Hütte näherten, trug ihnen der Wind erquickende Blumendüfte entgegen. Sie überschritten einen seichten, vergnügt dahinplätschernden Bach. Ein Stück hin im Schatten der Bäume stand ein Hirsch, der gerade trank und erstaunt zu ihnen herüberschaute, ehe er im Wald verschwand.
Das Maultier blieb vor dem Zaun stehen, und die freundliche Stimme sagte: »Jetzt sind wir zu Hause.«
Starke Arme hoben ihn vom Rücken des Maultiers und trugen ihn in die Hütte. Er wollte sprechen und dem Mann erklären, daß er gut selbst gehen könnte. Doch er konnte die Worte nicht zustande bringen, denn sein Kopfweh kehrte sofort zurück. In der Hütte wurde er niedergelegt und spürte an der weichen Berührung, daß es ein Bett war. Er fühlte die Hände des Mannes, wie sie ihn sorgsam zudeckten. Dann sagte die freundliche Stimme: »Schlafe jetzt, der Weg war lang und anstrengend. Du wirst dich bald...« Er war eingeschlafen, ehe sein Beschützer zu Ende gesprochen hatte. Es war der friedlichste Schlaf, in den er je versunken war.
Die Nacht verging und dann ein neuer Tag. Eine andre Nacht und wieder ein Tag. Er merkte jetzt wohl, wie die Zeit dahinging. Er spürte den Tag mit der hellen Sonne, die durch das Fenster am Fußende seines Bettes schien, und er spürte die Nächte, die jetzt nie mehr vollständig dunkel waren, denn in dem Zimmer neben dem seinen brannte eine Lampe. In ihrem Schein und auch tagsüber sah er manchmal einen Mann. Er kannte ihn jetzt; er hatte entdeckt, daß seine Hände nicht nur freundlich waren, sondern auch lange, schlanke Finger hatten. Sie waren gebräunt, wie auch das Gesicht des großen, schlanken Mannes, dessen Augen unter buschigen, von der Sonne weißgebleichten Brauen klar und offen blickten.
Endlich kam dann ein Morgen, an dem er das Gefühl hatte, wieder völlig genesen zu sein. Sein Kopf schmerzte nicht mehr, und die Schwellung war verschwunden. Aber die Stelle war noch empfindlich, wenn er den Finger darauf legte; schnell nahm er seine Hand fort. Er versuchte Worte und Sätze zu bilden und sprach sie im Flüsterton vor sich hin. Er war wieder fähig, zusammenhängend und verständlich zu reden.
Er sah sich zum erstenmal mit vollem Bewußtsein im Zimmer um. Er bemerkte die sauberen, weißen Gardinen vor dem Fenster, den dunkelroten Teppich auf dem Boden, die Stühle, auf denen Kissen in vielen Farben lagen, eine Kommode und einen Kleiderschrank. In einem Winkel standen hochschäftige Stiefel. An der hinteren Wand hingen breitrandige Hüte, mehrere Lassos und zwei Flinten. Alles war sauber
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