Blitz: Die Chroniken von Hara 2
dieses Geschenk des Schicksals sollte sie Thia überlassen? Pah! Das wäre, gelinde gesagt, dumm – und Dummheit konnte man ihr nun wirklich nicht nachsagen. O ja, sie würde sich Ghinorhas Schülerin sichern. Sie würde diesen ausgemergelten Körper loswerden, der ihr schon lange zum Hals heraushing – und mit jedem Tag eine größere Bedrohung darstellte: Bald würde er in sich zusammenfallen. Deshalb sollte sie schleunigst in Lahens Körper übersiedeln.
Und Thia?
Thia sollte getrost ins Reich der Tiefe eingehen.
Kapitel
25
An einer Kreuzung im Wald zügelte Ga-nor sein erschöpftes Pferd. Der Braune Luks war ebenfalls müde, seine Beine zitterten. Wenn sie diesen Ritt nur noch fünf Minuten fortsetzten, würden die Tiere zusammenbrechen.
Ga-nor saß rasch ab, streckte sich auf dem Boden aus und presste das Ohr auf die Erde. »Die sind bald da«, erklärte er. »In fünf Minuten, würde ich sagen.«
»Kein Wunder, ihre Gäule sind viel frischer als unsere!«
»Dann werden sie wohl lernen müssen, dass man manche Menschen besser in Ruhe lässt.«
»Was hast du jetzt wieder vor? Wir sind zwei, die sechs!«
»Sieben. Versteck dich. Ich bringe die Pferde in Sicherheit.«
Luk tat, wie ihm geheißen. Er saß ab, knüpfte die Armbrust vom Sattel und nahm auch Ga-nors an sich. Auf dem Rücken trug er einen kleinen Rundschild, an seinem breiten Gürtel baumelten der Streitflegel und ein Dolch. Mit all diesen Waffen schlug er sich in die Haselnussbüsche, die am Wegesrand wuchsen und so dicht waren, dass sich hier eine ganze Einheit hätte verstecken können.
»Runter mit dir!«, verlangte Ga-nor.
Luk murmelte noch einen Fluch, verbarg sich aber sogleich in den Sträuchern. Ga-nor verwischte derweil mit einem Ast die Abdrücke ihrer Stiefel auf dem Weg.
»Ich bin gleich wieder da. Du übernimmst nachher das Schießen, denn du hast beide Armbrüste. Aber sieh zu, dass du auch triffst.«
»Da platzt doch die Kröte, was dachtest du denn! Sieh du lieber zu, dass du wiederkommst, sonst erwischt dich noch einer von denen.«
Ga-nor flog in den Sattel, griff nach dem Zügel von Luks Pferd, schlug die Straße nach rechts ein und ritt sie zweihundert Yard hinunter. Hier gab es wesentlich weniger Sträucher als an der Kreuzung, sodass er die Tiere gut in den Wald hineinführen konnte. Er band sie an einem Baum fest und eilte zurück, um sich in den Haselbüschen auf der anderen Wegseite zu verstecken, etwas links von Luk.
Sie beide hatten sämtlichen feindlichen Spähtrupps entgehen können, waren an der zerstörten Burg Krähennest vorbeigekommen, dort beinahe auf eine große Einheit von Nabatorer Soldaten gestoßen und hatten sich schließlich durch die Wälder bis zur leeren Straße nach Altz geschlagen. Als sie schon glaubten, alle Gefahren hinter sich gelassen zu haben, waren sie auf eine Patrouille der Nabatorer Reiterei gestoßen. Ga-nor hatte anfangs noch gehofft, sie würden erneut entkommen, doch ihre Pferde waren den schnellfüßigen Tieren des Gegners, die aus den küstennahen Mondtälern stammten, unterlegen. Der Feind ließ nicht von ihnen ab.
Ga-nor zog die Klinge aus der Scheide auf dem Rücken und legte sie neben sich. Er musste nicht lange warten.
Schon hörte er Hufgetrappel, Schreie und Pfiffe.
An der Kreuzung zügelten die Verfolger ihre ungeduldigen Pferde, damit einer der Männer abspringen und nach frischen Hufspuren Ausschau halten konnte.
Luk richtete die Armbrust, den nächsten Bolzen schon zwischen den Zähnen haltend, auf den Offizier. Aus einer Entfernung von fünfzehn Schritt sein Ziel zu verfehlen, dafür müsste sich selbst ein unerfahrener Schütze schon sehr anstrengen. Oder Luk heißen: Er zielte auf den ungeschützten Hals, traf den Mann, der gerade einen Befehl erteilte, jedoch am Helm. Sofort warf Luk die abgefeuerte Armbrust beiseite, schnappte sich die zweite, legte an und schoss.
Und verfehlte sein Ziel auch diesmal.
Statt den Kopf des Gegners traf er das Auge des Pferdes. Das Tier drehte sich daraufhin wie wild auf der Stelle, kippte schließlich auf die Seite und begrub das Bein seines Reiters unter sich.
»Da!«, schrie einer der Nabatorer.
Zwei Männer eilten zu den Büschen auf beiden Seiten der Straße. Luk spannte mit Mühe die Armbrust und stand auf. Er hörte einen Kampfschrei Ga-nors, das Geklirr von Stahl und das Knistern der Büsche. Mit zitternden Fingern nahm er den Bolzen aus dem Mund und legte ihn ein. Erst danach sah er auf. Fünf Schritt vor ihm
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