Blitz: Die Chroniken von Hara 2
nur als Verdammte geschmäht wurden, mussten sie sich zur Treppe des Gehenkten zurückziehen. Von dort wollten sie sich nach Süden durchschlagen. Die Armee des Imperiums blieb ihnen dicht auf den Fersen, und keiner von ihnen hätte überlebt, wäre Ghinorha nicht gewesen.
Niemals würde Thia ihr heiteres, sorgloses Lächeln vergessen, als sie ihnen mitgeteilt hatte, sie werde ein Ablenkungsmanöver inszenieren. Sie alle hatten sich feige hinter ihr, Ghinorha, verschanzt. Sie war dann mit den wenigen noch verbliebenen Truppen nach Reinerwarr gezogen, einer Gegend, in der es damals zahlreiche Siedlungen gab. Dieser Winkelzug zwang den Feind, die Treppe des Gehenkten aufzugeben und diesen tapferen Gefährten eiligst nachzurücken, um die Bevölkerung in jenem Teil des Imperiums vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Ghinorha wusste genau, dass sie das Leben der anderen Gebieter und Gebieterinnen mit dem Tod zu bezahlen hatte. Tatsächlich wurde ihre Armee in die Erlika-Sümpfe getrieben – die zu ihrem Grab werden sollten.
Ghinorha versank im Moor.
Damit war ihre Zahl auf sechs geschrumpft. Den Krieg der Nekromanten mussten sie bereits damals verloren geben, auch wenn er noch vier lange Jahre währte.
Warum hatten ausgerechnet Ghinorha und Rethar sterben müssen? Ghinorha war kein schlechter Mensch gewesen und hatte ihr nie Schaden zugefügt. Ja, sie hatte ihr nach dem Tod Rethars sogar helfend die Hand gereicht.
Und ihn, Rethar, hatte Thia wie niemanden sonst geliebt. Seinetwegen hatte sie den Turm verraten, von der Frucht des dunklen Funkens gekostet und sich mit den anderen gegen den Rat erhoben, der einfach keine Vernunft annehmen wollte und den Turm in einen Abgrund trieb.
Und warum hatten ausgerechnet diese fünf falschen Schlangen, diese Feuerskorpione und Grabwürmer, überleben müssen? Bei denen man jede Sekunde mit Verrat, einem Biss oder einer Brandwunde rechnen musste …
Wäre Ghinorha noch am Leben, sie hätte eine Möglichkeit gefunden, in die Hohe Stadt einzudringen. Denn sie kannte all die geheimen Wege, die nach Alsgara hinein- und wieder hinausführten. Thia dagegen konnte nichts anderes tun, als jenes Tor im Auge zu behalten, das in die Hohe Stadt führte. Aber wozu gab es schließlich Schenken? Sie würde sich einfach in einer mit Blick aufs Tor einquartieren und abwarten.
Nach gut zwei Wochen neigte sich allerdings selbst ihre Geduld dem Ende zu.
Die Untätigkeit trieb sie schier in den Wahnsinn. Am liebsten hätte sie irgendeinem Hohlkopf den Hals umgedreht, was auch ohne Weiteres möglich gewesen wäre, immerhin trieben sich in der Schenke genügend Idioten herum. Und jeder einzelne von ihnen legte es offenbar darauf an, ihre Geduld, die ohnehin schon Risse zeigte, auf die Probe zu stellen.
Obendrein hatte Pork den Kampf um seinen Körper wieder aufgenommen und sich ungeachtet der harten Strafen bereits zweimal auf die Hinterbeine gestellt, noch dazu stets in Anwesenheit Dritter. Thia hatte es einzig ihrer Erfahrung zu danken, dass sie in beiden Fällen die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangte. Den Dienern in der Schenke entging das merkwürdige Verhalten dieses Gastes jedoch nicht. Ohne ein paar solide Soren, die in die Taschen des gierigen Wirts wanderten, hätte dieser Thia vermutlich längst wie einen Straßenköter vor die Tür gejagt.
Mit jedem Tag nahm Thias Hass auf diejenigen, die ihr ihren Körper genommen und sie in die erbärmliche Karikatur eines lebendigen Menschen verwandelt hatten, zu. In ihrem Rachedurst hätte sie sich zu gern über Talkis klaren Befehl hinweggesetzt und die drei umgebracht. Noch stärker war nur ihr Wunsch, alle Gefahr zu ignorieren und einfach durch das Tor zu spazieren, das in die Hohe Stadt führte.
Und sich notfalls mit Gewalt Zutritt zum Turm zu verschaffen.
Während Thia diesen Gedanken nachhing und sie ihre Verdrossenheit gerade an dem Wirt, der ihr ein nicht durchgebratenes Stück Rindfleisch aufs Zimmer gebracht hatte, auslassen wollte, erreichte sie ein Ruf. Sie schlug dem Kerl die Tür vor der Nase zu und eilte zum Tisch, gepeinigt von einem schmerzlichen Brennen, das ihr – im Körper von Pork – über die Wirbelsäule rann.
Soll doch das Reich der Tiefe diesen Rowan holen!
Ausgerechnet mit ihm wollte sie jetzt auf keinen Fall sprechen. Andererseits kannte sie Rowan gut genug, um zu wissen, dass der nicht eher Ruhe geben würde, als bis er bekommen hatte, was er wollte. Da sie zurzeit nicht einmal das Geflecht
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