Blitz: Die Chroniken von Hara 2
Potenzials.«
»Aber was hat sie denn nun genau mit dir gemacht?«
»Sie kennt jetzt alle Ströme und Quellen, zu denen ich Zugang habe. Deshalb konnte sie ihren eigenen Zauber auf meinen Funken setzen. Wir können nicht mehr fliehen, mein Liebster. Wenn wir uns nicht zum Regenbogental begeben, wird der Zauber, den sie in mich eingepflanzt hat, meinen Funken ersticken.«
»Und da gibt es keinen Ausweg?«
»Nein. Wenn ich die Mutter richtig verstanden habe, kann nur derjenige einen Zauber wieder abnehmen, der ihn auch gewirkt hat. Zumindest hat sie das bei diesem Armbrustzauber behauptet.«
»Willst du damit sagen, dass selbst die Verdammten ihn nicht aufheben könnten?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. »Aber ich glaube, den Zauber kann wirklich nur die Mutter aufheben.«
»Und selbst jetzt willst du mir noch weismachen, dass die Schreitenden nicht über die dunkle Magie gebieten?«
»O ja, das will ich. Denn kein Sdisser Nekromant ist imstande, den Funken eines anderen zu lesen oder etwas in ihn einzuweben. Dafür muss man die Schule im Regenbogental absolviert haben.«
Und diese hochmütigen Kreaturen maßten sich an zu behaupten, sie beschritten den Weg des Guten?!
»Aber wenn die Mutter über diese Fähigkeiten verfügt, warum unterwirft sie sich dann nicht jeden anderen Magier und jede andere Magierin?«
»Wenn sie dazu tatsächlich imstande wäre, würde mittlerweile ohne Frage der ganze Turm nach ihrer Pfeife tanzen. Diese Fähigkeit hilft ihr jedoch nur weiter, wenn der Funke dunkel ist. Oder zumindest dunkel eingefärbt. Bei Schreitenden und Glimmenden richtet sie mit diesem Können hingegen nichts aus.«
»Trotzdem fliehen wir«, spie ich aus. »Früher oder später entkommen wir ihr. Sie kann uns einfach nicht daran hindern!«
Als die lodernde Sonne zur Hälfte im Austernmeer verschwunden war und Himmel wie Wasser in allen nur denkbaren Rottönen leuchteten, verließen wir unser Zimmer.
Doch kaum betraten wir den Gang, da tauchte wie durch ein Wunder jene junge Glimmende wieder auf, die uns aus dem Ratssaal zurückbegleitet hatte. »Folgt mir«, verlangte sie.
Keine Ahnung, was wir ihr getan hatten, aber meiner Ansicht nach wählte sie den längsten Weg nach unten, den es gab. Als wir endlich in der hohen, eisig kalten und von magischen Glühwürmchen hell beleuchteten Eingangshalle ankamen, war die Nacht vollends hereingebrochen. Der Boden war mit rosafarbenen Fliesen ausgelegt, durch die Halle liefen marmorne Brücken und Galerien. Die zahlreichen Buntglasfenster blieben trotz der hellen Beleuchtung im Raum trüb, dazu war die Nacht schon zu undurchdringlich. Die Flügel des Lichten Tors standen weit offen. Dahinter wartete eine warme, vom Zirpen der Zikaden erfüllte Sommernacht. Keine fünfzehn Schritt trennten uns noch von ihr.
Sobald uns der Anführer der Gardisten bemerkte, trat er an die Glimmende heran: »Sind das die beiden, Herrin?«
»Ja«, antwortete sie, um sich dann an uns zu wenden. »Folgt dem Herrn Leutnant. Er händigt euch euren Besitz aus, danach seid ihr frei. Ihr werdet vor dem Tor erwartet und zu eurem Nachtlager gebracht. Morgen früh wird euch Herr Shen aufsuchen. Mit ihm brecht ihr auf. Das wäre alles.«
Der Leutnant brachte uns zu einem Marmortisch, der hinter dem Säulengang links stand. Als ich sah, was auf ihm lag, stieß ich einen freudigen Pfiff aus.
Mein Dolch und Bogen, der Beutel von Lahen, die Armbrust der Meister aus Morassien, die wir den Gijanen in der Schenke abgenommen hatten, meine Gürteltasche und – o Wunder! – mein Wurfbeil, das ich im Kampf auf Yokhs Anwesen verloren hatte. Beim Anblick dieser Waffe meinte ich, einen alten Freund wiederzutreffen. Das gute Stück begleitete mich nun schon seit meinen Tagen im Sandoner Wald. Ich war an das Beil gewöhnt, sein Verlust hatte mich unsäglich betrübt. Vermutlich ahnten die Schreitenden nicht einmal, welch willkommenes Geschenk sie mir damit gemacht hatten.
»Nehmt eure Sachen und verschwindet«, befahl der Leutnant.
Ich schob das Wurfbeil hinter den Gürtel, nahm den Bogen sowie die anderen Sachen an mich und steuerte schließlich mit Lahen aufs Tor zu. Bei jedem Schritt rechnete ich damit, dass uns doch noch jemand aufhielte. Aber nein, die Soldaten achteten nicht mal auf uns. Wir machten einen letzten Schritt – und hatten den Turm wieder verlassen.
Ich blieb stehen und sog die nächtliche Luft tief in mich ein.
Es war schwül. Sicher
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