Blitze des Bösen
immer
noch behauptet, daß ihr Sohn unschuldig sei.
Unschuldig und fehlerlos.
Rory mußte sein ganzes Leben vor Neid auf Richard fast
geplatzt sein, auch wenn er sich das nie hatte anmerken lassen.
Über Richard hatten sogar noch nach seinem Tod die Zeitungen berichtet. Sie selbst hatte…
Plötzlich ergab alles einen Sinn.
»Er wollte Aufmerksamkeit erregen«, flüsterte sie und nahm
kaum wahr, daß andere sie hören konnten. »Sein ganzes Leben
lang hat sich das Augenmerk aller nur auf Richard gerichtet.
Und das hielt auch nach seinem Tod noch an.«
Sie blickte erneut auf die Nachricht, die sie immer noch in
der Hand hielt.
Ich hasse Nachahmer… unfähige Nachahmer… Letzten Endes
konnte er nie so werden wie ich…
Sie las die Worte immer wieder, so oft, daß sie sicher war,
sie hätte sie auch im Schlaf wiederholen können. Und sie
starrte dabei unablässig auf die Botschaft.
Es war die Handschrift, über die sie nachdachte.
Sie starrte weiter auf den Zettel, wußte, daß sie die Schrift
kannte, wollte es sich aber nicht eingestehen. Nicht ohne eine
Erklärung dafür zu haben.
Aber dafür konnte es keine Erklärung geben.
Sie hatte Richard Kraven im elektrischen Stuhl sterben
sehen. Sie hatte gesehen, wie sein Körper erstarrte, wie sich
sein Gesicht verzerrte und seine Augen in die Höhlen zurückfielen.
Es war unmöglich, daß Richard Kraven die Nachricht
geschrieben hatte, die sie jetzt in der Hand hielt.
Aber dennoch gab es keine Frage.
Es war seine Handschrift.
48. Kapitel
Blut.
Überall war Blut, doch diesmal war es nicht das Blut einer
Katze.
Diesmal war es das Blut eines Menschen.
Glen Jeffers wußte, daß es Menschenblut war, obwohl er
keine Ahnung hatte, woher es stammte. Er war über und über
mit Blut verschmiert, an den Händen, im Gesicht, auf seinem
ganzen nackten Körper.
Nackt?
Warum war er nackt?
Glen riß den Blick von seinem blutbespritzten Körper los
und suchte die Wände um sich herum ab. Er war in einem
Raum, den er nicht kannte – einem schäbigen Raum. In so
einem ähnlichen hatte er einmal gewohnt, als er noch Architekturstudent war. Aber selbst sein damaliges Appartement auf
dem Universitätsgelände von Roosevelt war hübscher als
dieses hier gewesen. Die Wände hatten Risse gehabt und in
einer war ein Loch gewesen, weil der Vormieter beim Öffnen
des Schrankes mit der Tür gegen die Wand gestoßen war. Aber
die Wände waren wenigstens weiß gewesen, denn er selbst
hatte sie gestrichen.
Die Wände, die ihn jetzt umgaben, waren beige – jene Art
von eintönigem schmutzigem Beige, mit dem die Wände vieler
billiger Appartements gestrichen waren. Er sah ein Bett und
eine durchgesessene Couch, deren Polster so verdreckt waren,
daß man nicht mehr sagen konnte, welche Farbe sie einmal
hatten.
Er entdeckte einen wackligen Tisch mit ein paar
geschmacklosen Stühlen aus gefärbtem Metall.
Und noch mehr Blut.
Die Wände waren damit besudelt, genau wie die Möbel.
Überall war Blut.
Er wollte aus dem Zimmer stürmen, aber als er von einer
Wand zu anderen rannte, schienen sie bedrohlich näher zu
rücken, ihn einzusperren. Und er fand keine Tür.
Nur noch mehr Blut, das von den Wänden auf den Boden
hinuntertropfte.
Glen konnte es jetzt unter seinen bloßen Füßen spüren, warm
und klebrig, und er wollte weg, aber seine Füße wurden immer
schwerer, unbeweglich, so als wären sie in Zement gegossen.
Die Wände schienen sich immer enger um ihn zu schließen,
und er streckte die Arme aus, um sie wegzudrücken, doch
dadurch verschmierte er nur die Blutflecken. Scharlachrot
glänzendes Blut bedeckte seine Fingerspitzen, und er wollte
seinem Schrecken mit einem Schrei Luft verschaffen.
Aber er brachte keinen Ton heraus.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte kaum noch
atmen, nur noch heulen vor Angst.
Er drehte sich um und sah endlich eine Tür. Eine offene Tür,
die in einen anderen Raum führte.
Er bahnte sich den Weg dorthin, zog seine Füße nach, die
ihm bei jedem Schritt Widerstand leisteten. Licht drang durch
den Türrahmen, und innen konnte er das schimmernde Email
der Decke und dunkle Stockflecken im Mörtel der Wände
erkennen.
Ein Badezimmer.
Dort gab es bestimmt eine Dusche, unter der er sich das Blut
vom Körper spülen konnte. Ein Wimmern entstieg seiner
Kehle, als er die Tür erreicht hatte, doch es erstarb sofort, als er
sah, was in der Badewanne lag.
Es war eine Leiche – eine Männerleiche, nackt wie Glen
selbst – ihre Augen starrten leer zur Decke.
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