Blitze des Bösen
müssen. Statt
dessen hatte sie aber Angst.
Es war sechzehn Uhr dreißig, und sie war mit ihrem Bericht
über Rory Kravens Tod gerade fertiggeworden. Sie hatte noch
ein letztes Mal mit Mark Blakemoor gesprochen und gehofft,
er würde ihr sagen, daß Rory Kravens Fingerabdrücke nicht auf
dem Messer waren, mit dem Joyce Cottrell getötet worden war.
Doch er hatte nicht nur bestätigt, daß Rory Kraven Joyce
Cottrells Mörder war, sondern auch noch, daß dessen Handabdrücke mit den verschmierten Spuren identisch waren, die
man in Shawnelle Davis’ Küche entdeckt hatte.
Zu guter Letzt hatte Anne noch eine Notiz in Vivian Andrews’ Computer hinterlassen, in der sie vorschlug, daß sie sich
vorerst nur auf die bisher bekannten Tatsachen beziehen
sollten, bis mehr Licht in die morgendlichen Ereignisse in
Kravens Appartement gekommen wäre.
Wer hatte das getan? Und warum?
Wer konnte gewußt haben, daß Richard Kravens Bruder die
beiden Frauen ermordet hatte, wenn nicht einmal die Polizei in
der Lage war, unmißverständlich zu beweisen, daß ein und
dieselbe Person die Taten begangen hatte?
Diese Fragen gingen Anne immer noch durch den Kopf, als
sie nachmittags das Redaktionsgebäude verließ und nach
Hause fuhr. Das Schlimmste von allem war – und es machte sie
fast verrückt – das Auftauchen der seltsamen Nachricht. Sie
harte ja Mark Blakemoor schon von der Nachricht erzählt, die
gestern nachmittag auf ihrem Monitor erschienen war. Obwohl
er ihr interessiert zugehört hatte, hatte er am Ende doch einige
Fragen gestellt, auf die sie nicht vorbereitet gewesen war:
Er hatte doch noch im Hinterhof gestanden, als sich das
ereignete. Warum hatte sie ihn nicht gleich über den Vorfall in
Kenntnis gesetzt?
Sie hatte Blakemoor auch nichts von der künstlichen Fliege
erzählt.
Warum nicht?
Ihre Finger verkrampften sich um das Lenkrad. Weil es
nichts zu bedeuten hatte. Und weil es nichts mit der Nachricht
auf ihrem Monitor zu tun hatte oder mit Kumquats Tod oder
sonst was! den hatte ihr doch erklärt, woher sie stammte: er
hatte sie gekauft! Es war nur ein Zufall, daß sie aus Federn
und Haaren hergestellt war, die von ihren Haustieren stammen
konnten, was glaubte sie denn, um Himmels willen? Daß
jemand – ein Fremder, der vorgab, Richard Kraven zu sein –
in ihr Haus geschlichen war, eine künstliche Fliege fabriziert,
ihre Katze getötet und dann eine Nachricht im Computer
hinterlassen hatte?
Anne schob die Gedanken als aberwitzig beiseite, sie machte
sich allmählich selbst verrückt.
Als sie sich ihrem Haus näherte, fluchte sie laut, denn es
stand in ihrer Straße ein großes Wohnmobil, das gleich zwei
Parkplätze einnahm. Schließlich fand sie einen freien Platz in
der nächsten Straße. Auf ihrem Weg zum Haus warf Anne
nochmals einen Blick auf das Wohnmobil.
Sie öffnete die Tür ihres Hauses und rief:
»Hallo. Ist jemand da?«
»Hier hinten«, antwortete Glen aus seinem Arbeitszimmer.
Anne legte ihre Tasche unter den Tisch und ging ins
Arbeitszimmer. Glen saß am Zeichentisch und wirkte fast
schuldbewußt, als sie hereinkam. »Ich arbeite nicht«, versicherte er ihr. »Ich kritzle nur ein bißchen vor mich hin.«
Anne beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuß. »Machst
du das schon den ganzen Tag?«
Sie fühlte, wie sich sein Nacken versteifte, doch dann nickte
er.
»Und was gab’s bei dir?«
Anne ließ sich auf einen Stuhl fallen und erzählte Glen von
dem Mord an Rory Kraven.
Während Glen seiner Frau zuhörte, erschienen vor seinem
geistigen Auge Bilder.
Bilder aus seinem Traum vom Nachmittag; Bilder, die bis
aufs Detail Annes Schilderung über den Fund der Leiche Rory
Kravens in dessen Badewanne entsprach.
Aber er hatte ja nur geträumt, dachte Glen. Ganz bestimmt
hatte er nur geträumt.
50. Kapitel
Jüngerer Bruder des Serienmörders tot
aufgefunden
Rory Kraven für die Morde von Capitol Hill
verantwortlich
Die Leiche von Rory Kraven, 41, Bruder des
kürzlich hingerichteten Serienmörders Richard
Kraven, wurde gestern nachmittag in seiner
Wohnung in Capitol Hill gefunden. Das Opfer
eines bislang unbekannten Täters starb an
mehreren Stichwunden. Die unbekleidete
Leiche, die in der Badewanne lag und ähnliche
Verstümmelungen wie die Opfer Richard
Kravens aufwies, wurde von seiner Mutter
Edna Kraven, 66, entdeckt.
Nach Angaben der Polizei wurden hinreichende Beweise gefunden, die Rory Kraven
als Mörder von Shawnelle Davis und Joyce
Cottrell
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