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Blitze des Bösen

Blitze des Bösen

Titel: Blitze des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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und ich kann mich
nicht einmal mehr daran erinnern, worum es ging.« Er ließ
seine Hand wieder aufs Bett sinken. Jetzt wurden ihm die
Augenlider schwer. »Geh nur zur Arbeit. Ich fühle mich gut.«
Als er seine Augen schloß, schaute Anne die Schwester mit
sorgenvoller Miene an. »Ist er wirklich in Ordnung?«
»Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gegeben«, antwortete
sie. »Ich weiß, daß es ziemlich beängstigend ausgesehen hat,
Mrs. Jeffers, aber glauben Sie mir, ihm geht’s ganz gut. Wenn
Sie wollen, rufe ich den Arzt…«
Anne schüttelte den Kopf, weil sie jetzt fand, daß sie überreagiert hatte. »Schon gut. Ich glaube… ich glaube einfach, das
hängt damit zusammen, daß ich es nicht gewohnt bin, ihn in
diesem Zustand zu sehen.« Sie erhob sich vom Bett, beugte
sich vornüber und küßte ihren Mann. Einen Moment lang
reagierte er nicht darauf, doch dann griff er nach ihrer Hand
und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Sein Griff lockerte sich,
und als sie aufstand, war sie sicher, daß er wieder eingeschlafen war. Seine Augen schlossen sich und sein Atem ging
gleichmäßig. Erleichtert ging sie zur Tür, doch dann fing er
noch einmal zu reden an.
»Anne?«
Sie drehte sich um und sah, daß er sie aus halbgeöffneten
Lidern anschaute.
»Was ist, Schatz?«
»Hast du heute morgen gejoggt?«
Anne mußte blinzeln. Ob sie heute morgen gejoggt hatte?
Warum um alles in der Welt fragte er sie das? »Aber natürlich«, gab sie zurück. Dann fügte sie scherzend hinzu: »Ich
muß ja meine Form halten. Wer sollte sonst auf dich aufpassen,
wenn du heimkommst?«
Glen lächelte, doch sein Lächeln verschwand schnell wieder.
»Sei vorsichtig.«
»Vorsichtig?« wiederholte Anne. Wovon redete er? »Wieso
soll ich vorsichtig sein?«
Glen blieb still, und sekundenlang dachte sie, er sei wieder
eingeschlafen. Aber als sie durch die Tür ging, hörte sie wieder
seine Stimme.
»Draußen laufen jede Menge Strolche rum.«
Sie drehte sich um und schaute ihn noch einmal an, doch
diesmal waren seine Augen geschlossen und seine Brust hob
und senkte sich im leichten Rhythmus des Schlafes. Leise
schloß sie die Zimmertür, nickte der Schwester zum Abschied
zu, verließ die Intensivstation und nahm den Aufzug zum
Erdgeschoß. Auf dem Weg zu ihrem Wagen drehte sie sich
noch einmal um und schaute zum Fenster von Glens Zimmer
hinauf.
Seine letzten Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf.
»Draußen laufen jede Menge Strolche rum.«
    Als sie an ihrem Auto war, warf sie zufällig einen Blick auf
den schäbigen Ziegelbau auf der gegenüberliegenden
Straßenseite. Jemand sah aus einem der Fenster, und für eine
Sekunde trafen sich ihre Blicke. Es war ein Mann um die sechzig, vielleicht jünger. Er trug ein Unterhemd, war unrasiert und
ungekämmt, doch keine dieser Einzelheiten blieb Anne im
Gedächtnis haften. Es war sein Gesichtsausdruck. Der Mann
wirkte geschlagen, als ob er sich mit der Welt angelegt und
dabei verloren hatte. Aber er strahlte nicht nur Hoffnungslosigkeit aus, sondern auch Wut.
    Der Mann wandte sich vom Fenster ab, doch Anne blieb
noch einen Moment stehen und starrte auf das Gebäude. Ihr
kam in den Sinn, daß der Mann dem Haus, in dem er wohnte,
sehr ähnlich sah: schäbig und ungepflegt. Ob wohl überall in
dem Haus solche Leute wohnten, Leute, in deren Leben sich
ein trostloser Tag an den anderen reihte?
    Wahrscheinlich war das so.
Anne drehte sich um und schaute auf das Krankenhaus
zurück. Das Fenster zu Glens Zimmer war deutlich erkennbar.
Vielleicht war es das, was er gemeint hatte. Vielleicht war er
früh morgens aufgewacht und hatte jemanden gesehen –
möglicherweise denselben Mann, den sie gerade entdeckt hatte.
Jemanden, der gerade in diesem unwirtlichen Gebäude
verschwunden war, als die Morgendämmerung die schützenden
Schatten der Nacht vertrieben hatte.
Anne fröstelte in der morgendlichen Kälte, sie eilte zu ihrem
Wagen und fuhr schnell davon.
15. Kapitel
    Es begann zu regnen, als Anne auf den Parkplatz vor dem
Gebäude einbog, das Glen immer das häßlichste von ganz
Seattle nannte. Darin wollte sie ihm nicht widersprechen, denn
das Verlagshaus des Herold war 1955 erbaut worden, und es
spiegelte den Geschmack einer der langweiligsten Perioden der
modernen Architekturgeschichte wider. Äußerlich wies es
keinerlei interessanten Merkmale auf; es war vollkommen geradlinig, eine fünfstöckige Aluminium- und Glaskiste, deren
vordere Fassade nur von zwei Glastüren

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