Blitze des Bösen
Nicht genug damit, daß Glen
noch mindestens eine Woche im Krankenhaus verbringen
mußte, daß sie bei der Durchforstung der Akten rein gar nichts
gefunden hatte und Vivian Andrews sie gestern spitz gefragt
hatte, wann sie endlich mit der Story ankäme. Hinzu kam noch,
daß ihr das Alleinschlafen in dem großen Bett viel schwerer
fiel, als sie sich vorgestellt hatte. Also zum Teufel mit der
Fitneß heute morgen! Sie drehte sich um, kuschelte sich noch
tiefer unter die Decke und schloß die Augen. Aber anstatt
Schlaf zu finden, überkamen sie nur Schuldgefühle.
Also stand sie auf, zog sich an und ging nach unten. Die
beiden Kinder waren schon auf; Heather hing am Telefon und
Kevin saß vor dem Fernseher. Anne ging in die Küche, goß
sich eine Tasse von dem Kaffee ein, den ihre Tochter zum
Glück schon gekocht hatte und ging ins Wohnzimmer. In diesem Moment kamen die Morgennachrichten. Das Gesicht von
Janalou Moorehead, der Nachrichtensprecherin, füllte den
ganzen Bildschirm aus. Weil Anne aber noch nie leere Köpfe
mit hübschen Stimmen – wie sie das nannte – hatte ausstehen
können, nahm sie sich lieber die Morgenzeitung. Aber heute
erregte Janalous verführerische Stimme ihre Aufmerksamkeit:
»Mord in Capitol Hill«, sagte die Frau und verlieh ihrem sonst
stets lächelnden Gesicht einen angemessen ernsten Ausdruck.
»Die Leiche einer zweiunddreißigjährigen Frau wurde in einer
Wohnung gefunden, die…«
Ohne abzuwarten bis Janalou ihren Satz beendet hatte,
sprang Anne vom Sofa, nahm Heather den Hörer aus der Hand,
verabschiedete deren Freund mit einem unhöflichen ‚Auf
Wiedersehen’ und legte auf.
»Mutter!« empörte sich Heather. »Das war…«
»Mir ganz egal, wer das war«, entgegnete Anne. »Dafür
haben wir dir ein eigenes Telefon auf dein Zimmer legen lassen. Ich muß…« Doch bevor sie weiterreden konnte, läutete
das Telefon auch schon. »Ja,bitte?«
»Mit wem zum Teufel hast du denn gesprochen?« Carl
Waters, der Redakteur der Wochenendausgabe des Herald klang noch verärgerter als sonst. »Wenn du schon den ganzen
Morgen an der Strippe hängen mußt, dann schalt doch
wenigstens dein Mobiltelefon ein.«
»Tut mir leid, Carl«, sagte Anne, wissend, daß eine
Erklärung weder erwartet noch gewünscht wurde. »Ich habe
gerade die Nachrichten von unserer Freundin gehört. Was ist
passiert?«
»Ich weiß auch nicht mehr als die«, antwortete Carl. »Die
Eilmeldung ist vor einer halben Stunde bei uns eingegangen,
und seitdem habe ich versucht, dich an die Leitung zu kriegen.«
»Wie lautet die Adresse?« fragte Anne. »Und wer ist schon
dort?«
Carl Waters nannte ihr eine Adresse in Boylston, keine zehn
Blocks von ihr entfernt. »Ein Fotograf hat sich auf den Weg
gemacht. Wenn du dich beeilst, schaffst du es noch, zur
gleichen Zeit dort zu sein.« Anne wollte schon einhängen, als
Carl noch etwas sagte. »Anne, die Sache ist irgendwie
komisch, und deshalb wollte ich auch unbedingt mit dir reden.
Als der von der Zentrale die Adresse durchgegeben hat, meinte
er anschließend, daß man Blakemoor und Ackerly vielleicht zu
früh nach Hause geschickt hat.«
Annes Finger klammerten sich um den Hörer. »Blakemoor?«
wiederholte sie. »Die haben doch nicht etwa die KravenSonderkommission gemeint?«
»Mich haben sie nicht weiter ins Vertrauen gezogen«, entgegnete Waters nur darauf.
Anne bemühte sich, ihre plötzlich aufkommende Nervosität
nicht zu verraten. »Gut, ich mach’ mich auf den Weg.« Sie
legte auf, sah sich im Zimmer um, aber ihre große Ledertasche
lag nicht auf ihrem Platz. »Wo ist meine Tasche?«
Kevin sah vom Fernseher auf. »Unter dem Kaffeetisch.
Willst du über den Mord berichten?«
»Mhm…«
»Darf ich mitkommen?« Die Fragte stellte er jedesmal, und
seine Mutter verneinte sie stets. Trotzdem fand er, daß es
immer einen Versuch wert war. Nur ein einziges Mal wollte er
auch etwas von der Spannung mitbekommen, vielleicht sogar
einen Blick auf eine richtige Leiche werfen dürfen…
»Nein«, stellte seine Mutter klar, während sie sich durch die
Unordnung in ihrer Tasche wühlte, prüfte, ob Kassettenrecorder, Notizbuch und Kamera an Ort und Stelle waren.
»Und du gehst selbst auch nicht hin, klar?« Kevin schaute
verärgert, gab aber klein bei. »Besuchst du deinen Daddy heute
morgen?« fragte sie ihn.
»Ich weiß noch nicht«, begann Kevin. »Justin und ich wollten im Park Ball spielen, aber…«
»Ich mach dir einen
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