Blitze des Bösen
folgte.
An einem Ende der Werkbank stand das halbfertige Modell
eines Dreimastschoners; das Bild davon hing immer noch über
dem Rumpf an der Wand. Um den Rumpf herum lagen
verschiedene staubbedeckte Miniaturwerkzeuge verstreut, die
offenbar zum Bau des Schiffsmodells angeschafft, aber
inzwischen genauso in Vergessenheit geraten waren wie das
Projekt selbst. Der Experimentator sammelte die Werkzeuge
ein und legte sie auf eine freie Fläche der Bank. Das Buch mit
dem Bild der Fliege, die er nachbinden wollte, lehnte an der
Wand.
Er befestigte einen Angelhaken in dem kleinen Schraubstock
und begann. Er verwendete Leim aus den Utensilien für den
Schiffbau, um – gemäß der Anleitung im Fischbuch – Teile
von Hectors Feder daran festzukleben.
Der Experimentator nahm ein Messer und hielt es über die
grüne Feder. Wie lange war es schon her, daß er seine
Geschicklichkeit getestet hatte? Aber seine Hand war sicher,
und das Messer fühlte sich vertraut an. Mit den Fingern seiner
rechten Hand drückte er die Feder auf die Werkbank, während
er mit der anderen fachmännisch das Messer führte. In wenigen
Minuten hatte er aus der Feder vier perfekt geformte Stücke
herausgeschnitten. Alle wiesen die feinen Konturen auf, die mit
den Abbildungen im Buch identisch waren.
Er gönnte sich kaum eine Pause, um sein Werk zu bewundern, sondern arbeitete kontinuierlich weiter. Er wickelte einen
Faden um die winzigen Federkiele und band sie am geraden
Teil des Hakens fest.
Erst als die Federteile makellos am Haken befestigt waren,
trat der Experimentator zurück, um sich seine Arbeit zu
betrachten. Vom Leim war nichts mehr zu erkennen; kein
Tropfen war durch den Faden gesickert, dessen verknotete
Enden ebenfalls nicht mehr zu sehen waren. Wie die Flügel
eines winzigen Schmetterlings funkelten die Federteile in dem
fluoreszierenden Licht. Vor seinem geistigen Auge sah der
Experimentator bereits, wie die fertige Fliege auf der
Oberfläche eines Flusses tanzte und eine Forelle zum Biß
verlockte.
Jetzt ging es nur noch darum, ein Haarbüschel aus Kumquats Fell an dem Haken zu befestigen, um dem schillernden
Insekt einen nahezu schwerelosen Körper zu geben. Der
Experimentator griff nach unten, hob die Katze hoch und
drehte ihren Kopf so, daß sie das winzige Objekt im Schraubstock sehen konnte. »Sieh es dir an«, flüsterte er. »Ist es nicht
hübsch? Dich stört’s doch nicht, mir noch ein paar Haare
abzugeben, damit es ganz fertig wird?«
Kumquat, die zu spüren schien, daß etwas Unangenehmes
geschehen würde, versuchte, sich den Armen des Experimentators zu entwinden, und der verstärkte seinen Griff. Die
Katze fühlte den Druck, wehrte sich gegen diesen Zwang, und
ihr Herz begann schneller zu schlagen.
In den Händen des Experimentators begann es zu prickeln.
Er spürte, wie Energie in ihn strömte, eine Energie, die fast
elektrisch war.
Leben. Was er fühlte, war reine Lebensenergie. Er fühlte die
Kraft, die das Tier in seinen Armen von einem bloßen, wenn
auch ungemein komplizierten Gebilde aus Elementarmolekülen
in ein Lebewesen verwandelte. Und wieder einmal stieg in ihm
die Frage auf: Wie funktioniert das?
Er schaute sich Kumquat an. Die Katze sträubte sich in seinen Armen, wollte sich seinem Griff entwinden, doch die
Hände des Experimentators schlossen sich nur noch fester um
ihren Körper.
Tief in seinem Inneren wußte er, daß es an der Zeit war,
seine Forschungen wieder aufzunehmen. Es kam ihm fast so
vor, als ob das Schicksal die Katze für ihn bestimmt hatte:
gleichsam ein Sinnbild dafür, daß er jetzt seine Karriere wiederaufgenommen hatte.
Er sah sich im Keller um und entdeckte einen Pappkarton
mit noch intaktem Deckel. Er setzte Kumquat in den Karton,
durchsuchte den Keller und fand alles, was er brauchte.
Ein wenig Tetrachlorkohlenstoff. Wenn er einen Lappen
damit tränkte und ihn in den Karton zu der Katze steckte, wäre
das genauso effektiv wie der Äther, den er sonst immer
verwendet hatte.
Ein Plastiktuch, offenbar von irgendwelchen Malerarbeiten
übriggeblieben, breitete er auf der Werkbank aus; es würde das
Blut aufsaugen, das die Katze verlieren könnte.
Der Experimentator zog sich aus und verstaute seine Kleidung säuberlich in dem Schuhschrank.
Als schließlich alle Vorbereitungen beendet waren und die
Katze bewußtlos auf der Werkbank lag, nahm er sein Messer.
Er fühlte nur noch reine, ungetrübte Freude. Endlich konnte er
sich wieder
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