Blitze des Bösen
eine Menge gibt. Erstens: Auch bei Joyce Cottrell
wurde nicht eingebrochen und…«
»Das bedeutet gar nichts«, schnitt Vivian ihr den Satz ab.
»Du weißt so gut wie ich, daß viele Leute ihre Schlüssel in
der Nähe ihres Hauses verstecken.«
»Stimmt«, räumte Anne ein. »Aber es geht noch weiter.
Beide Frauen wurden auf dieselbe Weise abgeschlachtet. Ihre
Brustkästen wurden aufgeschnitten und ihre Herzen herausgerissen. Außerdem wohnten beide in Capitol Hill, nur wenige
Blocks voneinander entfernt.«
»Und eine von beiden war eine Hure, die andere arbeitete
brav im Krankenhaus. Die eine war in den Dreißigern, die
andere in den Fünfzigern, Du weißt so gut wie ich, daß sich
Serienmörder an einen bestimmten Typ halten…«
»Richard Kraven nicht.«
»Aber in diesem Staat hat man ihm nie etwas nachweisen
können«, erinnerte Vivian sie.
»Kraven war ein Mörder. Ob er in Washington verurteilt
wurde oder sonstwo, ist doch völlig egal!« rief Anne. »Und ich
bin sicher, daß der Mörder von Shawnelle Davis auch Joyce
Cottrell auf dem Gewissen hat.«
»Du warst auch sicher, daß Davis’ Tod irgendwie mit Kraven im Zusammenhang stand«, erwiderte Vivian. »Ich kapier’s
einfach nicht. Was willst du damit bloß beweisen?
Anscheinend hältst du alles für möglich. Wenn die Morde an
Davis und Cottrell irgend etwas mit denen von Kraven zu tun
haben sollen, wo bleibt dann Kraven? Erst hast du behauptet, er
sei schuldig – aber jetzt klingt es so, als ob du glaubst, daß
jemand anders die Morde verübt hätte.«
»Falls er einen Komplizen hatte…«
»Falls er einen Komplizen hatte, hätte er das wohl zugegeben. Nenn mich zynisch, wenn du willst, aber ich bin lange
genug im Geschäft, um zu wissen, daß solche Mistkerle bei
einer Mordanklage als allererstes ihre Freunde verpfeifen!«
Anne setzte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich weiß, ich
weiß«, seufzte sie. »Das ist es ja, was mich so verrückt macht.
Ich glaube im Grunde nicht daran, daß Kraven einen Komplizen hatte. Aber ich denke trotzdem, daß es irgendeine Verbindung gibt.« Sie fixierte Vivian. »Du hast die Leichen nicht
gesehen, Viv. Die von Shawnelle Davis habe ich zwar auch
nicht gesehen, aber dafür Fotos. Es ist sonderbar – die Leichen
sind nicht mit demselben chirurgischen Geschick seziert worden, aber die Verstümmelungen sind im Grunde identisch. Die
beiden Frauenleichen sehen praktisch so aus, als wenn jemand
sie noch mal aufgehackt hätte, nachdem Kraven mit ihnen
fertig war.«
Vivian verzog säuerlich die Lippen. »Das sind keine Tatsachen, das sind Mutmaßungen. Und das kann ich nicht länger
durchgehen lassen.« Sie wühlte in dem Durcheinander auf
ihrem Schreibtisch und reichte Anne, wonach sie gesucht hatte.
»Ich überarbeite deine Story und wir drucken sie. Aber damit
hat sich’s dann auch. Diese Zeitung bringt Fakten, keine
wilden Spekulationen. Bis wirklich etwas passiert, das aus
diesen beiden Mordfällen eine echte Mordserie macht, befaßt
du dich bitte hiermit.«
Anne schaute auf das Papier, das Vivian ihr gegeben hatte.
Es enthielt eine Notiz über ein Planungstreffen für die
regionale Schnellbahnverbindung zwischen Everett und
Tacoma – ein Projekt, das schon seit zehn Jahren zwischen
verschiedenen staatlichen Behörden hin- und hergeschoben
wurde. Anne sah Vivian ungläubig an. »Damit? Du fragst
mich, ob ich darüber schreibe?«
»Ich frage dich nicht«, antwortete Vivian ruhig. »Ich befehle
es dir.«
38. Kapitel
Im Haus war alles ruhig.
Glen war eingeschlafen.
Der Experimentator nicht.
Er durchforschte das Haus gemächlicher als sonst. Gestern
und an den Tagen zuvor hatte er einen gewissen Druck verspürt, den Druck, Vorbereitungen zu treffen. Aber gestern hatte
er sich das meiste von dem, was er brauchte, besorgt, ins Haus
geschafft, während Glen schlief, und sorgsam im Keller
gelagert. Es lag zum Gebrauch bereit, wenn die Zeit reif war.
Aber das war sie noch nicht.
Er war ein wenig aus der Übung, und bevor er seine Experimente nicht wieder perfekt ausführen konnte, unterließ er sie
lieber ganz.
Schließlich mußte er gewisse Normen wahren. Normen, die
der Mann, den er letzte Nacht beobachtet hatte, gewiß nicht
einhielt – ein plump ausgeschlachtetes Opfer durch die Straßen
zu schleifen. Als ob allein schon die Dunkelheit ihn vor den
Konsequenzen seiner Tat schützen würde!
Das würde sie natürlich nicht. Bald, vielleicht sehr bald,
würde der
Weitere Kostenlose Bücher