Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
nachdachte.
Dabei war das vollkommen lächerlich. Als ob es überhaupt etwas nachzudenken gab! Das war es doch, wovon ich seit Jahren geträumt
hatte. Die Chance meines Lebens. Sie war einmalig und würde nie wiederkommen. Wenn ich sie nicht ergriff, würde ich es für
den Rest meiner Tage bedauern. Noch auf dem Sterbebett würde ich hauchen: »Dass ich damals nicht zu Karl nach Paris gefahren
bin, das war der größte Fehler meines Lebens.« Vermutlich würde ich allein deshalb schneller altern, einen verbitterten Zug
um den Mund bekommen und eine ernsthaftePsychose entwickeln, die selbst der beste Therapeut nicht mehr in den Griff bekäme.
»Wir fliegen nicht«, sagte ich.
Stefan starrte mich ungläubig an.
»Wir fahren. Mit dem Zug. Ich habe schließlich Flugverbot.«
Stefan zuckte die Schultern und grinste. »Mir auch recht. Zieh dich aus.«
Ich wollte ihm den Espresso ins Gesicht schütten, aber sein Blick hielt mich davon ab. Nicht, dass sein Blick gefährlich oder
einschüchternd gewesen wäre, nein, ganz im Gegenteil. Es war ein zutiefst neutraler, professioneller, eher etwas desinteressierter
Blick. Wie bei einem Arzt, wenn er den Patienten auffordert, den Oberkörper frei zu machen.
Er ging zur Couch und öffnete seinen großen Rucksack, der danebenstand. »Die Unterwäsche kannst du anlassen, aber wir brauchen
deine Maße, damit die Klamotten passen«, sagte er nach einem Seitenblick, mit dem er festgestellt hatte, dass ich unbeweglich
wie eine Statue dastand und ihn anstarrte.
»Ich trage Größe achtunddreißig«, sagte ich.
»Und wetten, dass die Hosen alle zu lang sind?«, entgegnete er mit einem langen Blick auf meine zu kurzen Beine, die in ein
zu breites Gesäß übergingen. »Und die Jacken sind mal zu eng, mal zu lang, oder der Schnitt passt nicht zur Figur, richtig?«
Ich wurde rot.
»Richtig, Mädel?«
»Ja.«
»Da, wo deine Klamotten herkommen, gibt es eine wahnsinnige Auswahl, damit wirklich alles passt. Je mehr Maße wir angeben,
desto besser sieht das Ergebnis aus.«
Er sagte das recht beiläufig, während er wieder in seinem Rucksack kramte.
»Richtig, da war doch noch etwas«, sagte ich, als würde es mir gerade wieder einfallen. »Wolltest du mir nicht erzählen, warum
du mir diesen Gefallen tust und woher deine Kompetenz in Sachen Stil-Ikone rührt?«
Stefan steckte die Hände in die Hosentaschen, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und grinste mich von oben herab an.
Das meine ich wörtlich, denn zwischen seinen und meinen Augen lagen locker vierzig Zentimeter Höhendifferenz.
»Okay. Ich bin Modefotograf. Und zwar einer der Gefragtesten. Ich habe alle Mädels vor der Linse gehabt, war bei jeder Fashion-Show
zwischen Paris und Tokio und habe Backstage-Storys über alle großen Couturiers geschossen. Ich arbeite für die Printmagazine
im oberen Segment und mache Werbefotos für die wirklich wichtigen Labels.«
»Wow.« Das meinte ich auch so. Dann fielen mir sein Muscle-Shirt, der rosarote Zopfpullover und das aktuelle gelbe Blumenhemd
wieder ein. »Das heißt noch lange nicht, dass du die richtigen Klamotten für meinen einmaligen Auftritt als international
erfolgreicher Trendscout bei der wichtigsten Show in Paris aussuchen kannst, oder?«
»Um Himmels willen«, er hob die Hände abwehrend vor den Körper. »Ich finde, dass diese Designer-Fummel alle gleich bescheuert
aussehen. Aber meine ältere Schwester war Model, bis sie Mutter wurde. Durch sie bin ich in die Branche gekommen. Sie weiß
Bescheid und kann dir helfen.«
Wir grinsten uns an.
Der Rest des Tages war die Hölle. Stefan nahm meine Körpermaße, was mir einigermaßen peinlich war, da erneben der Körpergröße auch die Innen- und Außenlängen der Arme und Beine maß sowie die Umfänge von Hüfte, Taille, Brust und
Oberschenkel. Dann telefonierte er mit seiner Schwester, die eine Art Kostümverleih betrieb. Nur verlieh sie keine Kostüme,
sondern Garderobe für gesellschaftliche Anlässe. Er beschrieb ihr die Anforderung, und seine Schwester versprach, etwas Passendes
zu schicken. Per Kurier. Mir wurde flau, als ich an die Versandkosten dachte, aber wenigstens musste ich keine Leihgebühr
bezahlen.
Danach wurde es richtig schlimm. Stefan baute eine Videokamera auf und brachte mir Gehen bei. Nicht den Laufsteg-Gang der
Models, schließlich war ich eine Karrierefrau und kein Kleiderständer, aber mein Gang gefiel ihm trotzdem nicht. Meine
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