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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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surreale Imitation des normalen Lebens. Am 9. Februar nahm Inber an einer zweitägigen Konferenz baltischer Autoren teil, die der Schriftstellerverband organisiert hatte. Um sich vorzubereiten, stopfte sie zusätzliche Handschuhe und Strümpfe, tauschte vier Kantinenmahlzeiten gegen zwei Eier und ein kleines Stück trockenen Käse ein und holte einen Schokoladenriegel aus ihrem privaten Lebensmittelvorrat hervor. Der Weg vom Erisman zum Konferenzort, normalerweise ein angenehmer Spaziergang von der Petrograder Seite zur Wassiljewski-Insel, nahm nun zwei Stunden in Anspruch. Dabei kam sie an eingeschneiten Straßenbahnen, einem Gebäude, das unbeachtet die ganze Nacht gebrannt hatte, und einer Straße vorbei, die durch einen beschädigten Feuerhydranten überflutet worden war; über dem ausgeflossenen Wasser erhoben sich Dampfschwaden, die die Morgenröte einfingen. Am Ende eines von Lesungen, Berichten und Reden erfüllten Tages zog sie sich in ein Etagenbett zurück, das man im verräucherten Konferenzsaal hinter einem Vorhang aufgestellt hatte. In den frühen Morgenstunden wurde sie durch das Geräusch von krachendem Holz geweckt. »Es war Z., der den Stuhl, auf dem er während der Konferenz gesessen hatte, mit einer Axt demolierte. Ich schaute zu, wie er die Stücke in den Ofen warf – unglückselige Leningrader Stühle! Dann wärmte ich mich auf und schlief wieder ein.«
    In der Akademie der Wissenschaften musste Georgi Knjasew – mehr denn je auf seinen »kleinen Radius« beschränkt, weil die Kälte seinen Rollstuhl funktionsunfähig gemacht hatte – hilflos mit ansehen, wie seine Untergebenen, die er kurz zuvor noch mit einer Rede aufgemuntert hatte, um ihn herum starben. Am 5. Januar schrieb er, Schachmatowa Kaplan und ihr sechzehnjähriger Sohn Aljoscha seien der Dystrophie zum Opfer gefallen. Der Junge, ein begabter Astronom, habe vielleicht sogar das Zeug zum Akademiemitglied gehabt. Dies war eine besonders betrübliche Nachricht für Knjasew und sein Personal. Am folgenden Tag hielt die Kommission für die Geschichte der Akademie der Wissenschaften ihre planmäßige Sitzung ab, auf der er einen Bericht (»vielleicht meinen letzten«) über »Die Geschichte der Abteilungsleiter während der Existenz der Akademie (1925–1941)« präsentierte. Während seines Vortrags lag »ein armer Wicht«, dem man bereits die Stiefel ausgezogen hatte, draußen auf dem Hof.
    Knjasew vertraute seinem Tagebuch an, dass es mittlerweile fast unmöglich sei, die Fassung zu wahren:
    Wie man gute Miene zu bösem Spiel macht, so setze ich in Gegenwart anderer ein Lächeln auf, sage nur zuversichtliche Worte und versuche, die Stimmung zu heben … Und nur hier, auf diesen Seiten, erlaube ich mir, mich gehenzulassen. Hier zeige ich mein wahres Gesicht.
    Ich habe Frau Smikul getroffen, deren fünfzehnjähriger Sohn gerade gestorben ist, ein bescheidener Junge namens Wowa. Sie ist untröstlich in ihrem Leid und ihrer Verzweiflung – und all das sind klägliche Worte im Vergleich zum Ausdruck ihrer Augen, den eingefallenen Wangen und dem zitternden Kinn. Ich habe sie umarmt und sie an mich gedrückt – das war alles, was ich tun konnte. 24
    In der Eremitage waren die Angestellten mit ihren Familien – insgesamt rund zweitausend Menschen – dauerhaft in zwölf Luftschutzbunker in den Kellern des Palastes gezogen. Dort schliefen sie auf Holzpritschen, die unpassenderweise von alten turkmenischen Teppichen und vergoldeten Möbeln umgeben waren. Da man die Fenster im Halbparterre zugemauert hatte, blieben die Räume sogar tagsüber nahezu pechschwarz. Ein Zimmer, das Büro des Museumsdirektors Jossif Orbeli, wurde durch ein Kabel von Zar Nikolaus’ alter Vergnügungsjacht Polarstern , die draußen auf der Newa vertäut war, mit Strom versorgt. Sonst ging das einzige Licht von Ikonenlämpchen und »Fledermäusen« aus, die, wie in einem Bericht behauptet wird, mit Seehundsöl aus dem Zoo betrieben wurden. Mehrere weibliche Mitarbeiter, bemerkte Boldyrew, holten verschämt ihre Hochzeitskerzen hervor, also die langen, mit Bändern verzierten Bienenwachslichter, die Braut und Bräutigam während der traditionellen orthodoxen Heiratszeremonie in den Händen hielten.
    Eine der berühmtesten, der Blockade zum Trotz abgehaltenen Veranstaltungen war ein Symposium, das Mitte Dezember in der Eremitage stattfand und dem fünfhundertsten Geburtstag des timuridischen Dichters Alischer Nawai geweiht wurde. Man veranstaltete eine Ausstellung von

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