Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
bemängelte, trafen sie direkt von der Arbeit ein, betrunken nach den traditionellen Verabschiedungsritualen und ohne angemessene Bekleidung. Sie saßen mit nacktem Oberkörper in politischen Vorlesungen, hämmerten mit den ihnen gerade zugeteilten Gewehren auf Bettgestelle ein, um die Bajonette abzutrennen, versteckten Viertelliterflaschen Wodka in ihren Gasmasken und kauften Eiscreme von Händlern, die ungehindert kommen und gehen konnten, obwohl sie auch Spione hätten sein können. Am schlimmsten war, dass die Rekruten nicht ausgebildet wurden. Theoretisch sollten Freiwillige eine sechzehnstündige Grundausbildung erhalten, doch in Wirklichkeit war nicht einmal das der Fall, da sie keine Waffen und Munition für Anleitungszwecke besaßen und da es fast keine Ausbilder gab (einem Bericht zufolge nur einen einzigen für fünf- bis sechshundert Soldaten). 20
Ohnehin hätte in der verfügbaren Zeit keine hinreichende Ausbildung stattfinden können. Am 7. Juli, nach drei Tagen in Kasernen und nach Massenversammlungen in ihren Fabriken, marschierten die Männer der Kirow-Division, mit Scharen von Ehefrauen und Kindern im Gefolge, durch die Straßen zum Witebsker Bahnhof, wo sie in Züge zur Front stiegen. Es war eine Theatervorführung, denn nach ein paar Stationen schickte das Oberkommando sie wieder zurück, damit sie ihre Grundausstattung abholen konnten. Insgesamt, erinnerte sich ein Freiwilliger,
brachen wir dreimal zur Front auf … Das erste Mal war am 7. Juli. Das Oberkommando schickte uns zurück, weil wir keine Ausrüstung hatten. Am 8. Juli trafen unsere Waffen ein und wurden verteilt. Wir starteten erneut, und unsere Uniformen wurden unterwegs ausgegeben. Dann mussten wir wieder umkehren. Am 9. waren wir endlich korrekt gekleidet und ausgerüstet: jeder mit seinem Gewehr und die Offiziere mit Karabinern.
Obwohl die 1. Division über Artillerie, Maschinengewehre und ein paar Maschinenpistolen verfügte, hatte sie keine Flugabwehrgeschütze, besaßen ihre Minenwerfer keine Visiere und waren einige der verteilten Gewehre vierzig Jahre alt. (»Meines war 1895 hergestellt worden«, erzählte ein kirowez . »Es war genauso alt wie ich.«) 21 Die Division erreichte ihr Ziel – ein Eisenbahnstädtchen zwischen Luga und Nowgorod – schließlich am 11. Juli, und zwar während eines Luftangriffs.
Späteren opoltschenije -Einheiten erging es noch schlechter. Die 2. Division besaß ebenfalls keine Flugabwehrgeschütze, keine Automatikwaffen außer einem Maschinengewehr und hatte so unerfahrene Artilleristen, dass diese erst »in der Schlacht lernen [mussten], wie ihre Kanonen einzusetzen waren«. Die 3. Division, beschwerte sich Volkswehrbefehlshaber Generalmajor Alexej Subbotin bei Schdanow, hatte nur die Hälfte der für sie bestimmten Artillerie, keine Panzergranaten, keine Granaten oder Molotowcocktails, »keinen einzigen Minenwerfer«, nicht genug Kabel für Feldtelefone, nur ein paar Autos und Motorräder, aber auch kein Gewehröl, was bedeutete, dass die Waffen seit ihrer Übergabe nicht gesäubert worden waren. Trotzdem wurde die Division bereits am 15. Juli, dem Tag ihrer Einberufung, ausgesandt, um Befestigungen bei Leningrad zu bemannen. 22
Die Freiwilligen sollten, wie sich in den internen Parteiunterlagen eindeutig nachvollziehen lässt, als Kanonenfutter benutzt werden. Bei einem Treffen mit seinen Kollegen in der Politischen Abteilung lobte Werchoglas die Vielfalt der Volkswehrangehörigen (»In unseren Einheiten sieht man einen Professor neben einem Studenten marschieren, einen Metallarbeiter und einen Gießereiarbeiter oder einen Architekten neben einem Bäcker Schießübungen machen«), aber er gab zu: »Da wir nicht viel Vorbereitungszeit haben, müssen sie ausgebildet werden, während sie kämpfen, und kämpfen, während sie ausgebildet werden.« Freiwillige sollten »nicht für Manöver, sondern nur für Verteidigungszwecke eingesetzt werden … weshalb sie in der Lage sein müssen, Granaten und andere primitive Abwehrmittel gegen feindliche Angriffe zu benutzen«. 23 Vor allen anderen wurde die 2. Division in die Schlacht geworfen. Sie traf am 13. Juli an der Front ein und erhielt sofort den Befehl, deutsche Panzereinheiten von einem Brückenkopf jenseits der Noga, südöstlich von Kingissepp, zurückzuschlagen. Die 1. und die 3. Division folgten ihrem Beispiel eine Woche später, während sich die motorisierten Divisionen der Wehrmacht im Süden entlang der Noga-Linie ausbreiteten.
Das
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