Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
Gebiet relativ klein war (es lag außerhalb des zaristischen Ansiedlungsrayons), ließen die deutschen Behörden dort rund 3600 jüdische Zivilisten – fast alle in den ersten Besatzungswochen – ermorden.
Zur selben Zeit, als die Rote Armee Puschkin und Pawlowsk verlor, wurde sie auch aus Alexandrowsk, einer kleinen Vorstadt am Ende der südwestlichen Eisenbahnlinie Leningrads, und aus Pulkowo vertrieben. Die 5. Gardedivision der opoltschenije kämpfte bis zum Letzten, und ihre Knochen liegen noch heute zwischen wuchernden Rosenstöcken und Philadelphus in einem vernachlässigten Massengrab neben dem wiederaufgebauten Observatorium. Am Meerbusen nahmen Reinhardts motorisierte Divisionen Strelna und Peterhof ein, was die Isolation der sowjetischen 8. Armee im Kessel von Oranienbaum unterstrich. Nachdem Schukows Versuch einer Gegenoffensive gescheitert war, ordnete er die Einrichtung einer neuen Verteidigungslinie an: von den äußeren südwestlichen Vororten Leningrads durch Pulkowo und dann zur Newa an der Stelle, wo der Fluss auf halber Strecke zwischen dem Ladogasee und dem Meerbusen nach Norden schwenkt. Diesmal würde es, wie er am 17. September in einem typisch brutalen Kampfbefehl erklärte, keinen Rückzug geben:
1. Angesichts der außerordentlichen Bedeutung [der Pulkowo-Kolpino-Linie] gibt der Militärrat der Leningrader Front allen Kommandeuren, politischen Kadern und Linienkadern, die den markierten Bereich verteidigen, bekannt, dass jeder Kommandeur, Politruk oder Soldat, der den angezeigten Bereich ohne schriftlichen Befehl der Armeegruppe oder des Armeemilitärrats verlässt, auf der Stelle erschossen wird.
2. Der Befehl an führende und politische Kader ist bei Empfang zu proklamieren und weithin unter den Mannschaftsdienstgraden zu verbreiten.
Drei Tage später fügte Stalin hinzu, dass die Soldaten um Leningrad unter Androhung der Todesstrafe nicht zögern dürften, auf russische Zivilisten, die sich ihnen von den deutschen Linien her näherten, zu feuern:
An Schukow, Schdanow, Kusnezow und Merkulow.
Es wird gemunkelt, dass die deutschen Schurken, die auf Leningrad vorrücken, Individuen – alte Männer und Frauen, Mütter und Kinder – aus den besetzten Regionen voranschicken, damit sie unsere bolschewistischen Streitkräfte auffordern, Leningrad zu übergeben und den Frieden wiederherzustellen.
Außerdem heißt es, dass unter den Bolschewiki von Leningrad Personen zu finden seien, die es nicht für möglich halten, Gewalt gegen solche Individuen anzuwenden …
Meine Antwort lautet: Keine Sentimentalität. Vielmehr müssen dem Feind und seinen Komplizen, krank oder gesund, die Zähne zerschmettert werden. Krieg ist unerbittlich, und wer Schwäche zeigt oder Zaudern zulässt, wird als Erster eine Niederlage erleiden. Wer immer in unseren Reihen Zaudern erlaubt, wird für den Fall Leningrads verantwortlich sein.
Schlagt die Deutschen und ihre Geschöpfe, wer immer sie sind … Es spielt keine Rolle, ob wir es mit willigen oder unwilligen Feinden zu tun haben. Keine Gnade für die deutschen Schurken und ihre Komplizen …
Bitte, Befehlshaber sowie Divisions- und Regimentskommissare zu informieren, ebenso den Militärrat der Baltikflotte und die Befehlshaber und Kommissare von Schiffen.
[gezeichnet] J. Stalin 11
Endlich hielt die Linie stand. Am 24. September – als seine vorderen Einheiten nur fünfzehn Kilometer von der Eremitage entfernt waren – gab Leeb schließlich zu, dass seine erschöpften und überstrapazierten Heere nicht weitermarschieren konnten, und bat um Genehmigung, in die Defensive zu gehen. Die Kämpfe verebbten, als sich beide Seiten zurückzogen und ihre erschütternden Verluste zählten. Innerhalb der deutschen Heeresgruppe Nord waren seit dem Beginn der Invasion 190000 Mann getötet oder verwundet worden sowie 500 Geschütze und 700 Panzer verloren gegangen. 12 Die sowjetischen Einbußen fielen noch gravierender aus. Im selben Zeitraum waren bei der Baltikflotte und an der Nordwestfront insgesamt 214078 Mann getötet worden, in Gefangenschaft geraten oder verschollen (Kriegsgefangene machten wahrscheinlich 70–80 Prozent der Gesamtzahl aus); hinzu kamen 130848 Verwundete. Damit waren zwei Drittel der ursprünglichen Streitkräfte außer Gefecht gesetzt. Zudem hatten sie 4000 Panzer, ungefähr 5200 Geschütze und 2700 Flugzeuge verloren. 13
In traditionellen Belagerungsgeschichten werden diese Tage von Mitte bis Ende September mit ihren erschöpfenden
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