Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
schaltete Moskau sich ein, und am 26. Oktober wurde Chosin das Kommando schließlich aufgezwungen. Fedjuninski übernahm die Führung der 54. Armee.
Für den Rest des Jahres erhielt Leningrad den Auftrag, so viele Waffen wie möglich zu liefern, obwohl die Rüstungsanlagen weiterhin über den Ladogasee evakuiert wurden. (Die Verlegung der sechstausend Mitarbeiter der Ischorsker Panzerwerkstatt und ihrer Angehörigen erfolgte am 2. Oktober und die der Kirow-Werke mit 11614 Arbeitern zwei Wochen später. 28 ) Die allgegenwärtige Parole jener Zeit – »Alles für die Front!« – hätte korrekterweise lauten müssen: »Alles für Moskau!«, denn die Mehrheit der Produkte aus Leningrad kam nicht der Verteidigung der eigenen Stadt zugute, sondern der Zentralfront außerhalb des Belagerungsrings. Kohle- und Torfvorräte, die Wohnungen später vor Kälte hätten schützen können, wurden zur Herstellung von Granaten und Minen benutzt; die Transportkapazität, die der Lebensmitteleinfuhr hätte dienen können, wurde für die Herstellung von Munition verwendet, die man unverzüglich in die Hauptstadt exportierte.
Zur selben Zeit befahl Stalin Schdanow, die Belagerung aufzuheben. »Sie müssen sich beeilen, um über Mga nach Osten durchzubrechen«, telegrafierte er dem Smolny am 13. Oktober. »Sie wissen selber, dass es keine andere Route gibt. Bald werden Ihre Lebensmittelvorräte und anderen Quellen zur Neige gehen. Beeilen Sie sich, oder es könnte zu spät sein.« 29 Zwei Tage später flog Woronow nach Leningrad, um die Offensive zu beaufsichtigen und neue, unmöglich hohe Produktionsziele zu setzen. Bei ihrem ersten Treffen bat Schdanow um mehr Munition, woraufhin Woronow verlangte, dass Leningrad seine eigene Granatenproduktion auf eine fantastische Zahl von einer Million monatlich erhöhte. »Eine Million im Monat – das ist Wahnsinn!«, explodierte Schdanow. »Das ist ein Bluff! Es ist ignorant! Sie begreifen einfach nicht, wie die Munitionsherstellung funktioniert!« 30 Drei Tage später erkundigte Stalin sich, ob seine neue Offensive bereits begonnen habe:
Wir haben Ihnen eine Weisung mit dem Befehl zu einem sofortigen Vormarsch geschickt, um die Lenfront und die 54. Armee zu vereinigen. Wir haben keine Antwort erhalten. Was geht vor, warum antworten Sie nicht? Ist die Weisung verarbeitet worden, und wann meinen Sie, dass der Vormarsch beginnt? Wir fordern eine rasche Antwort mit einem von zwei Worten. »Ja« bedeutet eine Bestätigung und die schnelle Erfüllung des Befehls; »Nein« ist die Ablehnung. 31
Nachdem die geplante Offensive durch die deutsche Bedrohung Tichwins, eines wichtigen Endbahnhofs für Evakuierungen über den Ladogasee, durchkreuzt worden war, fiel Stalin am 23. Oktober erneut über die Leningrader her. Seine Botschaft wurde am Telefon von Marschall Wassiljewski, dem stellvertretenden Generalstabschef, verlesen. Diesmal erklärte Stalin ausdrücklich, dass Leningrad möglicherweise aufgegeben werden müsse; er betonte, wie wichtig es sei, die umzingelten Armeen zu befreien, obwohl Moskau keine Möglichkeit habe, Leningrad zu helfen:
Ihre Untätigkeit lässt nur den Schluss zu, dass Sie die kritische Situation, in der sich die Soldaten der Lenfront befinden, immer noch nicht durchschauen. Wenn Sie die [deutsche] Front in den nächsten Tagen nicht durchbrechen und erneut eine solide Verbindung zur 54. Armee herstellen, durch die Sie Kontakt zur Etappe haben, werden all Ihre Männer in Gefangenschaft geraten. Die Wiederherstellung der Kommunikation ist nicht nur notwendig, um die Soldaten der Lenfront zu versorgen, sondern vornehmlich auch, um eine Rückzugsmöglichkeit für die Kämpfer der Lenfront nach Osten zu schaffen, falls die Übergabe von Leningrad durch unvermeidliche Umstände erzwungen wird. Bedenken Sie, dass Moskau sich ebenfalls in einer kritischen Situation befindet und nicht in der Lage ist, Ihnen mit neuen Streitkräften zu helfen … Wir fordern eine rasche, entschiedene Aktion Ihrerseits. Ziehen Sie acht oder zehn Divisionen zusammen und brechen Sie nach Osten durch. Das ist in beiden Fällen notwendig, ob Leningrad durchhält oder übergeben wird. Für uns ist die Armee wichtiger. 32
Wassiljewski unterstrich die Botschaft am selben Tag in einem persönlichen Anruf bei Fedjuninskis 54. Armee. Unbewaffnete Verstärkungen würden aus Wologda entsandt, doch darüber hinaus sei die Armee auf sich selbst gestellt. »Bitte berücksichtigen Sie, dass es in der gegenwärtigen
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