Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
letzte Kahn erreichte Ossinowez am 15. November. Bis die neue Straße gebaut und das Eis auf dem See dick genug war, um Lastwagen zu tragen, konnten Vorräte nur noch auf dem Luftweg nach Leningrad gebracht werden. Obwohl auf Schdanows wütende Forderung hin schließlich 64 Maschinen für die Route abgeordnet wurden, war nie mehr als ein Drittel von ihnen einsatzbereit, und sie lieferten täglich nur vierzig bis fünfzig Tonnen, hauptsächlich Blöcke aus Press- und Gefrierfleisch. 4
Karte 4: Eisstraße und Schiffsroute über den Ladogasee
Von verzweifelten Hydrologen beobachtet, verdickte sich das Eis qualvoll langsam. (Um die wahrscheinliche Verdickung zu berechnen, konsultierte ein Experte die mittelalterlichen Aufzeichnungen der Mönche der Insel Walaam, die jeden Winter das Datum verzeichneten, an dem Pilger das Kloster zu Fuß über den Ladogasee erreichen konnten.) Zehn Zentimeter Eis wurden, wie man schätzte, für ein Pferd mit Reiter benötigt, achtzehn Zentimeter für ein Pferd, das einen Schlitten zog, zwanzig Zentimeter für einen beladenen Zwei-Tonnen-Laster. Um den Bau einer Straße von Ossinowez zu dem Dorf Kobona, am nächstgelegenen Teil des von den Sowjets besetzten östlichen Seeufers, zuzulassen, würde das Eis auf der gesamten dreißig Kilometer langen Strecke zwanzig Zentimeter dick sein müssen.
Am 17. November, als das Eis erst zehn Zentimeter dick war, wagten sich die ersten Kundschafter hinaus auf den See; vorsichtshalber hatten sie Rettungsringe und lange Stäbe bei sich. Am folgenden Tag blies der Wind von Norden her, die Temperatur fiel, und man begann, den Schnee zu räumen, die Route zu markieren und Brücken über Spalten im Eis zu bauen. Am 20. November war das Eis achtzehn Zentimeter dick, und die ersten Fahrzeuge – dreihundert Pferdeschlitten – brachen auf, zwei Tage später gefolgt von den ersten, in großen Abständen startenden Lastwagen. Auf der Rückfahrt brachen mehrere im Eis ein, obwohl sie jeweils nur ein paar Säcke Getreide beförderten. Um das Gewicht zu verteilen, schleppte der nächste Konvoi Schlitten hinter sich her. Vergeblich: Bis zum 1. Dezember konnten nur rund 800 Tonnen Mehl – weniger als der Bedarf von zwei Tagen – geliefert werden, und vierzig Lkws waren steckengeblieben oder von Pannen gestoppt worden. Die holprige, schmale neue Straße nach Saborje war noch schlechter: Der erste Konvoi, der sie am 6. Dezember benutzte, brauchte vierzehn Tage für die Hin- und Rückfahrt, und über 350 Laster mussten abgeschleppt oder aufgegeben werden. Wassili Tschurkin, der Artillerist, der im August in die chaotische Flucht aus Wolossowo verwickelt worden war, erhielt am 7. Dezember den Befehl, in der windigen, pechschwarzen Nacht über das Eis zu marschieren. Gebremst durch Erfrierungen an den Füßen, blieb er hinter seiner Einheit zurück und hätte sich völlig verirrt, wäre nicht ein gelegentlicher roter Lichtschein von einem Leuchtturm am Ufer durchgedrungen. Er gelangte am folgenden Tag um 13 Uhr nach Kobona, nachdem er an zehn mit Mehl beladenen Lkws, deren Hinterachsen durchs Eis gesunken waren, und einem jungen, an Unterkühlung sterbenden Soldaten vorbeigekommen war. 5
Weitere Konvois begaben sich nicht mehr auf diese Route. Am 9. Dezember, nach einer Reihe einzelner Angriffe auf die südliche Flanke des zu stark entblößten deutschen Brückenkopfs, eroberte die 4. Armee, deren Befehl General Merezkow einen Monat zuvor übernommen hatte, Tichwin schließlich nach schweren Kämpfen zurück. Ihnen waren bis zu 9000 Deutsche zum Opfer gefallen. 6 Versorgungszüge konnten nun in Tichwin entladen werden, und man kürzte die Lastwagenstrecke auf hundertsechzig Kilometer – hundertdreißig Kilometer auf dem Landweg über Nowaja Ladoga und Kobona sowie dreißig Kilometer über den See hinweg. Die Befreiung von zwei weiteren Eisenbahnorten, Woibokalo und Schicharjewo, brachte ebenfalls Fortschritte: Ab 1. Januar konnten Nachschubzüge nur dreizehn Kilometer vom Seeufer entfernt entladen werden, und die Länge der Lkw-Route verringerte sich auf weniger als fünfundvierzig Kilometer. Danach verbesserten sich die Lieferungen über die Eisstraße – in Wirklichkeit waren es sechs parallele Routen – allmählich. Obwohl geplagt von Schneestürmen, schlechter Führung (der erste Chef der Eisstraße, ein gewisser Oberst Schmakin, wurde wegen Inkompetenz entlassen), deutschen Bomben und Engpässen an der kurzen, unzulänglich ausgerüsteten
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