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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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zehn Uhr erreichten sie den Bataillonsgefechtsstand, nachdem bereits zwei Mann durch Erfrierungen ausgefallen sind. »In fünf Stunden wird die Dämmerung hereinbrechen«, schrieb Hockenjos.
    Wir stehlen uns zwischen unsern letzten Posten hindurch und tauchen im Niemandsland unter, eine lange Reihe, eine beängstigend lange Reihe dunkler Gestalten im lichten Aspenwald, ein schwerfälliger Haufen im knietiefen Schnee und ein gutes Ziel in der weißen Fläche. Wir haben ja weder Schneehemden noch Schneeschuhe.
    Eine gute Stunde birschen wir schon durch den stillen, tief verschneiten, dick bereiften Hochwald. Inseln von Fichten und Kiefern sind eingesprengt … Eine große Lichtung öffnet sich, in der ein verfallenes Blockhaus steht. Wir meinen Bewegungen zu erkennen, ich bringe am Waldrand ein MG in Stellung und schicke eine Gruppe hinüber, – sie jagt zwei verwilderte Pferde in dickem Winterpelz auf, die sich am eingesunkenen Strohdach weideten. Mit wehenden Schweifen und Mähnen galoppieren sie durch den stäubenden Schnee davon.
    Jenseits der Lichtung wird der Wald spärlicher, und der Schnee häuft sich hüfthoch. Die Männer überqueren die Spuren, wie ihnen scheint, eines Wolfs und eines Elchs. Von Süden ist der Lärm schwerer Gefechte zu hören, und sie pressen sich gegen die Bäume, als russische Kampfflugzeuge über sie hinwegrasen. Um 19 Uhr, vier Stunden nach Sonnenuntergang, gelangen sie auf eine Straße, wo sie eine Hütte und »eine Reihe froststarrer Toter« vor sich sehen: das Dorf Gorneschno.
    Es gibt heißen Tee und östliches Kommißbrot! … Zwanzig von meinen Fünfzig haben Erfrierungen, meist schweren Grades. Einigen sind die Füße schon schwarz geworden, sie kriechen auf den Knien in ihren Quartieren umher.
    Am Morgen erfahren sie, dass in der Nacht eine Feldküche über eine Mine gefahren sei; es gebe nur einen einzigen Überlebenden. »Wir warten auf unsern Lkw, doch er kommt nicht. Es kommt aber eine Suchkolonne aus dem Wald zurück und bringt die sieben Leichen des Spähtrupps, der uns gestern abend begegnete, bringt sie mit eingeschlagenen Schädeln und abgeschnittenen Nasen und Ohren.« Außerdem erfährt Hockenjos, mit zwei Tagen Verspätung, von dem japanischen Angriff auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbor. »Wenn das nun kein Weltkrieg ist!«, notiert er mit untypischer Schroffheit in seinem Tagebuch. »Mir scheint, ich habe Aussicht, es noch zum Hauptmann zu bringen.«
    Hockenjos befand sich im Hinterland der zweiten Schlacht um Tichwin, eine Stadt hundertfünfundsiebzig Kilometer südöstlich von Leningrad und am östlichsten Punkt des deutschen Brückenkopfs über den Wolchow. Tichwin hatte strategische Bedeutung wegen seiner Lage an der Eisenbahnstrecke, auf der Vorräte für den Transport über den Ladogasee nach Leningrad befördert wurden. Das Besatzungsgebiet der Wehrmacht am südlichen Ufer des Sees, das sie am 8. September durch die Einnahme von Schlüsselburg gewonnen hatte, war zwar gefestigt, aber nur dreißig Kilometer breit. Züge, die durch Tichwin fuhren, konnten am Wolchow, zwanzig Kilometer südlich des Uferstädtchens Nowaja Ladoga, entladen werden. Trotz deutscher Luftangriffe gelangten Kähne über den See zu dem Datschendorf Ossinowez am westlichen, in sowjetischer Hand befindlichen Ufer. Eine kleine vorstädtische Eisenbahnlinie bewältigte dann die letzten fünfundvierzig Kilometer nach Leningrad. Auf diese Weise waren im Herbst Rationen für zwanzig Tage durch die Blockade gelangt.
    Am 8. November, auf dem Höhepunkt der Schlacht um Moskau, fiel Tichwin mit 20000 Soldaten, 96 Panzern, 179 Geschützen und einem Panzerzug an die Deutschen. 3 Dadurch wurde die Leningrader Rettungslinie zerschnitten. Versorgungszüge konnten nun nicht mehr an Nowaja Ladoga herankommen, sondern mussten Saborje, hundertsiebzig Kilometer östlich, ansteuern. Daraufhin befahl der Leningrader Militärrat den Bau einer neuen, zweihundert Kilometer langen Straße, die durch eine urwaldähnliche Landschaft führte und innerhalb von zwei Wochen unter Einsatz zwangsverpflichteter Bauern fertiggestellt sein sollte. Daneben ordnete der Rat zum ersten Mal die Kürzung der Brotration für Frontsoldaten an: von 800 auf 600 Gramm pro Tag. Die Zuteilung für rückwärtige Einheiten fiel von 600 auf 400 Gramm. Drei weitere Kürzungen – eine für das Militär, zwei für Zivilisten – schlossen sich rasch an. Zugleich wurde die Schifffahrt über den Ladogasee durch Vereisung beendet: Der

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