Blondine ehrenhalber
sogar von der eigenen Schwester — unverstanden zu fühlen, obwohl man immer versucht hatte, wirklich versucht hatte, Beziehungen aufzubauen. Seit ihrer Jugend hatte sich an Franks Situation nichts geändert. Clarissa tolerierte Frank nicht — im Gegensatz zu ihrer neuen Busenfreundin Amanda. Wie konnte es auch anders sein? Amanda sah wundervoll aus in ihrem Kleid, ihr lockiges Haar tanzte auf ihren weichen, weißen Schultern.
»Wieso trägst du rot?«, fragte Frank. »Was ist mit deiner Arbeitskleidung?«
»Ich wollte mich für die Eröffnung kleiden wie für eine Party.«
Frank verbannte den störrischen Pony aus ihrer Stirn. »Ich muss mal«, sagte sie, »übernimm du solang.«
Frank drückte sich an Amanda vorbei, durch das Gewühl und die Tür hinaus auf die Straße. Sie atmete die kalte Luft in tiefen Zügen ein, bis sie sich etwas besser fühlte. Von einem Teenager, der gerade vorbeikam, schnorrte sie eine Zigarette. Dann setzte sie sich auf die Bank vor dem Café, rauchte fröstelnd und dachte nach. Ihre Augen wanderten zum Moonburst hinüber, wo es an diesem Abend sehr ruhig zuging. In Gedanken sah sie es in einem Feuerball explodieren, Glasscherben und Metalltrümmer durch die Luft fliegen und die zerfetzten Gliedmaßen von Benji Morton auf den Gehweg regnen. Sie nahm einen letzten Zug und drückte die Zigarette mit ihrem schwarzen Stiefel aus.
Kapitel 6
Chicks Aura war purpurrot. Sobald Amanda neben ihm stand, blitzten ihre Augen indigofarben. Neben ihm fühlte sie sich klein und hilflos, dafür sehr weiblich. Sein Lächeln wirkte gelassen, zuckersüß und natürlich. Als sie ihm die Krone aufgesetzt hatte, konnte sie seinen Atem an ihrer Stirn spüren. In der Hoffnung, dass es ihn auch erwischte, starrte sie ihn fortwährend an und versuchte, ihm telepathisch zu signalisieren, dass sie nicht nein zu sagen gedachte. In ihren Augen war er ein Abenteurer, risikofreudig, ein selbstloser Lover. Darüber hinaus hatten Kletterer so irrsinnige Oberschenkel.
Amanda wartete geduldig darauf, dass Chick den ersten Schritt tat. Das war ihr Stil seit dem College. Eine lange Liste von One-Night-Stands, samt der dazugehörigen Betretenheit am Morgen danach, dokumentierte ihre jugendliche Begeisterungsfähigkeit, sofort in fremde Betten zu hüpfen. Später hatte sie entdeckt, dass es zu zweiten und dritten Dates kam, wenn sie ihre Verführungskünste spielen ließ und die Männer Zentimeter für Zentimeter in ihren weichen, warmen Mittelpunkt lockte. Je länger sie sie auf die Folter spannte, desto tiefer versanken die Männer in ihr wie in Treibsand. Verführung betrachtete sie nicht als Manipulation, auch nicht als Spiel, vielmehr als eine Kunst. Sie war fest entschlossen, ihrer alten Methode treu zu bleiben, ganz gleich wie verlockend es auch sein mochte, zu Chick hinüberzugehen und ihm erregende Nichtigkeiten ins Ohr zu flüstern.
Außerdem konnte Warten wunderbar spannend sein. Amanda kostete ihre Vorfreude voll aus, als sie zusammen mit Chick, Frank und Clarissa für das Lokalblatt, den Brooklyn Courier, posierte. Danach wurden noch einige Fotos von Chick allein geschossen, wie er RTB-Kaffee trank. Auf seiner, wie Amanda glaubte, unbehaarten Brust prangte ihr neues Logo. Als der Fotograf seine Arbeit beendet hatte, war es bereits nach 23 Uhr. Die Reihen hatten sich gelichtet und man beschloss, den Laden zu schließen. Während Clarissa noch an einem anderen Ort feiern wollte, verspürte Frank mehr den Drang, zu Hause zu bleiben und die Einnahmen zu zählen. Amanda hingegen hoffte, Chick würde sie zu einer Privatparty in seiner Hose einladen.
Ein wenig auf sich aufmerksam zu machen würde ihre übliche Abwartetaktik nicht unterlaufen, dachte Amanda. Also lief sie ans andere Ende des Cafés, wo er sich mit dem frisch engagierten Matt unterhielt, und beobachtete die beiden aus der angenehmen Entfernung von drei Metern. »Mann, kapierst du das denn nicht?«, sagte Matt zu Chick. »Wenn du nicht auf das Hamsterrad hinaufhüpfen und dich ständig in kleinen Kreisen bewegen willst wie der Rest in diesem verflixten Land, dann erschießen sie dich eines Tages oder sperren dich ein, nur weil du anders bist. Das genau passiert nämlich mit Künstlern in Amerika. Ich will Kunst für die Öffentlichkeit machen. Graffiti. Und dafür könnten sie mich einsperren.«
»Weil du fremdes Eigentum verunstaltest«, erwiderte Chick. Amanda liebte seine ausgewogene Stimme — sie klang weder zu tief noch beunruhigend kehlig,
Weitere Kostenlose Bücher