Blondine ehrenhalber
Street musste sie warten. Eine Frau neben ihr schrie plötzlich auf und rannte auf die andere Straßenseite, während ein Mann sie etwas zu aggressiv anrempelte. Sie fühlte sich attackiert und lief bei Rot über die Straße. Ein Pärchen pfiff sie aus, als sie an ihnen vorbeistürmte.
Mit beiden Händen stieß sie die zweiflügelige Tür zum Heights Café auf. Die vertraute Umgebung erfüllte Amanda mit Erleichterung. Todd Phearson, der winzige Besitzer und gleichzeitig Oberkellner, um die fünfzig, fing sie an der Tür ab. Amanda erwartete, dass er sie einem Teddybären gleich in die Arme schloss und stützte, war er doch ein guter Nachbar und Freund ihrer Eltern gewesen. Stattdessen bedeutete seine Handhaltung ihr »Halt«.
»Es tut mir Leid, Amanda«, sagte er, »aber ich glaube, wir sollten auf Distanz bleiben, bis diese Sache vorbei ist.«
Warf er sie hinaus? Sie konnte nicht fassen, was sie eben gehört hatte. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich jemanden töten könnte?«, fragte sie. Von den Leuten, die er kannte, war sie sicher die Letzte, zu der die Rolle eines Killers passte. Keiner Fliege konnte sie etwas zuleide tun. Sie hatte Fliegen gefangen, um sie ins Freie zu bringen. Sie hatte Moskitos gefangen, um sie ins Freie zu bringen. Was im Übrigen gar nicht so leicht zu bewerkstelligen war.
»Amanda, du weißt genau, dass ich dich nie verdächtigen würde«, flüsterte er, und sein durchdringender Blick wich nicht von ihrem Gesicht. Daran erkannte Amanda, dass er log. Ehrliche Menschen schauen einem in die Augen. Unehrliche starren einem in die Augen.
»Ich will mit Paul sprechen«, sagte sie und wich einen Schritt von Todd zurück. Ihr Magen schien sich umzudrehen, das Gefühl, gemieden zu werden, war entsetzlich. Es kam ihr vor, als wäre sie in ein anderes Universum geraten, wo alle sie hassten.
»Paul ist nicht hier«, sagte Todd ruhig. »Ich habe ihm gesagt, er soll heute zu Hause bleiben. Ich will nicht, dass es in meinem Restaurant noch mehr Ärger gibt. Deine Anwesenheit könnte den Rest der Belegschaft stören — und auch die Gäste. Das kann ich nicht riskieren. Ich habe schließlich ein Geschäft zu führen.«
Amanda konnte den Verrat nicht fassen. Sie kannte Todd schon über ein Dutzend Jahre. So behandelt zu werden, wegen nichts und wieder nichts, wegen eines Werbegags. Es war lächerlich. Und es tat weh. »Ich muss auch ein Geschäft führen, Todd«, sagte sie mit großer Beherrschung. »Und genau darum geht es dabei doch.«
Todd seufzte und schob sie in Richtung Tür. »Du kriegst dein Geschäft in den Griff und ich meines. Es tut mir sehr Leid, dass dir das alles zustößt. Aber ich bin auch gekränkt, dass du mein Restaurant mit hineingezogen hast. Wenn alles geklärt ist, komm vorbei, wann immer du willst.«
Genauso gut hätte er sagen können: »Deine Eltern haben mir gar nichts bedeutet.« Amanda kämpfte gegen eine vulkanartig aufbrodelnde Wut in ihrer Brust. Es kostete sie eine Menge Selbstbeherrschung, sich zusammenzureißen. Jeder hielt sie für eine Mörderin. Doch dies traf nicht zu. Sie war ein guter Mensch. Ein Strom von Liebe floss durch ihr Herz. Sie glaubte an Gott und sie spendete für wohltätige Zwecke. Aber dieser Hinauswurf, einfach fortgejagt zu werden, das überschritt ihre Schmerzgrenze.
Sie schaute in Todds verhärmtes Gesicht, und zum ersten Mal sah sie ihn, wie er wirklich war: ein boshafter, gemeiner Mann. »Vater hatte Recht«, sagte sie, und Tränen flössen aus ihren grünen Augen. »Er hatte dich immer im Verdacht, ein Antisemit zu sein.«
Todds Gesicht wurde noch unansehnlicher. »Raus jetzt, Amanda«, kommandierte er.
Sie sog mehrmals tief die reinigende Luft ein (die Sonne, der Mond, die Wellen, der Strand) und versuchte, die Fassung zu bewahren. Es wollte ihr aber nicht gelingen. Der Schmerz und die Wut wurden zu Naturgewalten, die nicht mehr aufzuhalten waren. »Du bist so — so anormal klein.« Dann rannte sie hinaus.
Über seine Größe zu spotten. War sie schon so weit gesunken? Einen Mann wegen seines physischen Mankos zu beleidigen, als ob seine Statur irgendetwas mit der Größe seiner Seele zu tun hätte? Amanda schnaufte und keuchte die Hicks Street hinunter. Dabei wunderte sie sich über sich selbst. Armer Paul, er war bestimmt ebenfalls von Todd schlecht behandelt worden. Und alles wegen ihr. Schuldgefühle stiegen in ihr hoch. Für sie selbst mochte es noch angehen, aber Paul war von diesem Journalisten missbraucht
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