Blood - Ein Alex-Cross-Roman
Tür auf.
Eine vollbusige Blondine entstieg der Limousine und streckte dabei die langen Beine, als wollte sie sich für das Fernsehballett bewerben. Sie war eine ehemalige Kandidatin für den Titel der Miss Universe, sechsundzwanzig Jahre alt und ein paar ihrer beweglichen Körperteile waren das Beste, was man für Geld bekommen konnte. Außerdem sah sie ein kleines bisschen zu attraktiv und aufregend aus, als dass der Mafioso sie ohne den einen oder anderen größeren Geldschein hätte abschleppen können. Benny war ein zähes, kleines Wiesel, aber nicht gerade ein Filmstar, es sei denn, man rechnete auch diesen Typen, der Tony Soprano spielte, mit dazu.
Der Schlachter sah leicht belustigt zu. Er saß einen halben Straßenblock entfernt in seinem Auto. Die Blondine würde Benny schätzungsweise fünfhundert die Stunde kosten, vielleicht zwei Riesen für die ganze Nacht, falls Mrs Fontana zufällig gerade zu Besuch bei ihrer Tochter war, die in sicherer Entfernung das Marymount Manhattan College in New York besuchte.
Michael Sullivan schaute auf die Uhr.
Neunzehn Uhr zweiundfünfzig. Das war die Rache für Venedig.
Der Anfang der Rache jedenfalls. Die erste einer ganzen Reihe von Botschaften, die er übermitteln wollte.
Um zwanzig Uhr fünfzehn nahm er die Aktentasche vom Rücksitz, stieg aus und überquerte die Straße. Dabei hielt er sich immer im weichen Schatten der Ahorn- und Ulmenbäume. Er musste nicht lange warten, bis eine Dame mit graublauen Haaren und Pelzmantel aus dem Wohnblock kam. Sullivan hielt ihr mit einem freundlichen Lächeln die Tür auf und trat ein.
Es sah mehr oder weniger noch genau so aus wie damals. Das Apartment 4 C befand sich seit Jahren im Besitz der Familie, seit der Zeit, in der sich für die Mafia erste geschäftliche Perspektiven in Washington aufgetan hatten. Es war als Unterschlupf für diejenigen gedacht, die, aus welchem Grund auch immer, ein wenig zusätzliche Privatsphäre benötigten. Der Schlachter hatte es selbst ein-, zweimal in Anspruch genommen, als er von Benny Fontana einen Auftrag bekommen hatte. Das war jedoch gewesen, bevor John Maggione Jr. das Geschäft von seinem Vater übernommen und den Schlachter immer mehr ins Abseits gedrängt hatte.
Sogar der billige koreanische Türriegel an der Wohnungstür war noch derselbe wie früher, jedenfalls fast. Nächster Fehler. Sullivan überlistete ihn mit einer Ahle aus seiner Werkstatt zu Hause, die drei Dollar gekostet hatte. Er steckte das Werkzeug in den Aktenkoffer zurück und holte seine Pistole sowie ein Chirurgenmesser hervor, ein ganz besonderes.
Im Wohnzimmer war es fast vollkommen dunkel. Aus zwei Richtungen drangen Lichtstrahlen herein, aus der Küche zu seiner Linken und aus einem Schlafzimmer zu seiner Rechten. Bennys forderndes Grunzen sagte Sullivan, dass sie sich schon in der zweiten Halbzeit befanden. Geschmeidig huschte er über den Wohnzimmerteppich bis zur Schlafzimmertür
und schaute hinein. Miss Universe saß oben − nicht weiter überraschend − und wandte ihm ihren schmalen Rücken zu.
»Genau so, Baby, so hab ich’s gern«, sagte Benny, und dann: »Jetzt steck ich meinen Finger…«
Sullivans Schalldämpfer ploppte leise und nur einmal. Er schoss die ehemalige Miss-Universe-Kandidatin in den hinteren Teil ihrer Frisur, sodass das Blut und das Gehirn der Frau auf Benny Fontanas Brust und Gesicht spritzten. Der Mafioso brüllte, als hätte er selbst eine Kugel abbekommen.
Es gelang ihm, sich unter der Toten hervorzuzwängen und sich vom Bett fallen zu lassen, allerdings nicht auf der Seite, wo das Nachttischchen stand, und daher auch nicht auf der Seite, wo seine Pistole lag. Der Schlachter fing an zu lachen. Er wollte nicht respektlos gegenüber dem Mafiaboss oder gegenüber der Toten sein, aber Fontana hatte am heutigen Abend praktisch alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Er wurde langsam weich, und das war genau der Grund, weshalb Sullivan sich zuerst an ihn herangemacht hatte.
»Hallo, Benny. Wie geht’s dir denn?«, fragte der Schlachter, während er die Deckenbeleuchtung einschaltete. »Wir müssen über Venedig sprechen.«
Er holte ein Skalpell hervor, das eine Spezialklinge besaß, die besonders für das Durchtrennen von Muskelsträngen geeignet war. »Um genau zu sein, du musst Mr Maggione eine Botschaft von mir überbringen. Wärst du so nett, Benny? Könntest du den Botenjungen spielen? Ach, übrigens: Hast du schon mal was von einem gewissen James Syme
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