Blood Empire - Das Blutreich
nickte leicht. Seine Gesichtszüge ließen nicht den geringsten Rückschluss darauf zu, was er in diesem Augenblick dachte. Eine pergamentartige, gepuderte Maske, die nicht zu durchdringen war. Und das leichte Aufblitzen in Radvanyis Augen wusste Chase nicht zu deuten. Schließlich fuhr der Fürst fort: "Ich glaube, du überschätzt Tardelli. Er ist wohl nichts weiter als eine Schachfigur in einem Spiel, das andere bestimmen."
"Trotzdem, ich würde gerne mehr über ihn erfahren."
"Nichts dagegen einzuwenden..."
Der Fürst wandte sich einem seiner Computerterminals zu. Seine dürren Finger glitten über die Tastatur.
Chases Gedanken kehrten derweil in die Vergangenheit zurück. In eine Zeit, in der Computer etwas für Banken und große Konzerne gewesen waren, in der man noch Schallplatten und keine CD's gehört hatte und in der Pac-man das das Non-Plusultra der interaktiven Unterhaltung gewesen war. Chase konnte sich noch gut daran erinnern, stundenlang von einem kleinen kugelförmigen Monster, dass irgendwie wie das Gegenteil eines Smiley ausgesehen hatte, durch ein mit schlichten Leuchtbalken angedeutetes Labyrinth über den Fernsehschirm gejagt worden zu sein. Nein, kein COMPUTERspiel, erinnerte sich Chase. Ein TELEspiel. Er kratzte sich am Kinn. Mann, Alter, du kommst wirklich und wahrhaftig aus der Gruft und hast es noch gar nicht gemerkt!, ging es ihm durch den Kopf. Er hatte schon fast vergessen wie das war, ein Sterblicher zu sein.
*
Vergangenheit: Anfang 1981...
"Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, was du da vorhast, Chase!" Su Nguyen stand am Fenster, blickte hinaus.
Sie strich sich das blauschwarze Haar zurück, das ihr bis weit über die Schultern fiel.
Sie trug nichts weiter als eines von Chases T-Shirts, dass der zierlichen Asiatin bis zu den Schenkeln reichte.
Chase lag auf der breiten Bettcouch, erhob sich jetzt. Er trug nur seine Jeans. Barfuss trat er an Su heran, umfasste von hinten ihre Taille. Sie lehnte sich gegen ihn. Seit drei Wochen wohnte sie bei ihm. Mit ihr glaubte Chase, das große Los gezogen zu haben.
"Wieso? Was hast du denn? Der Plan ist astrein! Außerdem kann ich die Sache gar nicht mehr abblasen."
"Du hast Tardelli schon angerufen?"
"Klar."
"Und?"
"Er hat gesagt, die Sache geht klar."
"Man, bist du naiv, Chase! Der wird dich irgendwo an eine einsame Stelle bestellen und dich eiskalt ausschalten. In ein paar Wochen wird eine von Haien zerfressene Leiche an den Connecticut Strand des Long Island Sound gespült. Falls du irgendein typisches und für Haie unverdauliches Inlay haben solltest, kann man dich sogar identifizieren!"
"Scheiße, du bist so negativ, Baby!" Chase atmete tief durch, presste sie enger an sich. Er roch an ihren Haaren, küsste sie sanft. Aber auf dieser Frequenz war das Girl im Moment vollkommen taub.
"Ich mache mir Sorgen, Chase! Um dich! Um dein Leben, verdammt noch mal!"
"Jack Tardelli ist schlau genug, mir nichts anzutun. Ich bin nämlich keineswegs so naiv gewesen, wie du glaubst."
"Ach, nein?"
"Ich habe Tardelli gesagt, dass ein Anwalt damit beauftragt wurde, für den Fall, dass mir etwas zustößt einige Briefe loszuschicken, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden..."
"Und? Entspricht das der Wahrheit?"
"Alles Bluff, Kleines."
"Das sieht dir ähnlich!"
"Ich habe ja außer der Aussage eines Mannes, dessen Gehirnmasse inzwischen auf dem Fußboden von Spadolinis Frisörsalon klebt, rein gar nichts!"
"Du bist verrückt, Chase!"
"Ja, aber bald auch reich! Und dann brauchen wir auch nicht mehr in dieser Hütte von Apartment an der Lower Eastside zu hausen."
"Oh, Chase..."
"Wir suchen uns einen schönen Platz, an dem das Leben cool ist und man prima mit einer Harley herumdüsen kann. Was hältst du davon?"
"Dein Großonkel wird dich jagen, Chase!"
"Mein Großonkel wird Tardelli umbringen, wenn er nicht spurt und das weiß Tardelli auch. Deshalb wird er ganz handzahm sein."
"Aber wenn es kommt, wie du geplant hast, wird dein Onkel ans Messer geliefert und Tardelli übernimmt das Syndikat. Er wird dich zur Strecke bringen, Chase!"
Chase grinste.
"Vielleicht wird er's versuchen."
"Oh, Chase!"
"Komm, bleib cool! Wir nehmen eine andere Identität an. Kein Problem, ich habe da schon vorgesorgt."
"So?"
Sie schwiegen. Er spürte ihren leicht beschleunigten Herzschlag. "Mir gefällt es nicht, dass du dich gegen deine eigene Familie stellst, Chase. Du verrätst deinen Mentor."
"Du sprichst doch nicht von Roy DiMario?"
"Ja,
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