Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
Boden geschossen kam wie irgendein prähistorisches Monster, so erwartete ich doch, dass Johnson demnächst wieder seine hässliche Visage zeigen würde. Wir hatten Rose vor ihm in Sicherheit gebracht, aber sein Unwesen trieb er nach wie vor. Seine dämonische Essenz lebte in einem scheußlichen mundlosen Körper weiter, der mich bestimmt bald aufspüren und aufs Neue quälen würde.
Auch wenn ich Lily Carlyle, die Dämonenkillerin, war, so müsste derzeit die zutreffendere Beschreibung wohl lauten: Lily Carlyle, Dämonenzielscheibe mit einem großen roten Fadenkreuz auf dem Hintern.
Selbstverständlich waren die Dämonen nicht mein einziges Problem. Gabriel vermutete, ich würde mich zur Dämonenkönigin aufschwingen, und der Erzengel machte mir nicht den Eindruck, als würde er tatenlos zusehen und warten, wie ich mich am Tag der Konvergenz entscheiden würde. Deshalb musste ich mir momentan nicht nur Dämonen, sondern auch noch Engel vom Leib halten.
Wann ich bei all dem Kämpfen und Versteckspielen Zeit für die Suche nach Deacons rätselhaftem Schlüssel finden sollte, war mir schleierhaft.
Nicht zu vergessen, dass ich nebenbei auch noch auf Rose achtgeben musste. Denn vorausgesetzt, Gabriel und die Dämonen waren nicht völlig verblödet, würden sie genau wissen, dass sie über meine Schwester am einfachsten an mich herankämen. Und dass Johnson diese kleine Schwäche meinerseits kannte, wusste ich bereits. Zweimal hatte er das auch schon ausgenutzt.
Zusammengefasst könnte man sagen: Meine Liebsten und ich waren im Grunde genommen am Ende, und mir waren die Ideen ausgegangen, was ich noch Sinnvolles hätte tun können.
Solch trüben Gedanken hing ich gerade nach, als plötzlich die Vordertür aufgestoßen wurde und mir die Sicht auf den Eingang versperrte. Ich sprang auf und griff zum Messer; ich wusste ja nicht, wer auf der anderen Seite der Tür lauerte. Ich hoffte, es war Rachel, aber die Zeiten, da ich leichtsinnig war, gehörten der Vergangenheit an.
5
»Großer Gott!«, schrie Rachel und ließ die Schachtel fallen, die sie dabeihatte. Eine Papierflut ergoss sich über den ganzen Boden. »Was habt ihr ...? Wann seid ihr ...?«
Ich ließ mein Messer wieder in der Scheide verschwinden, während Rose ganz verschlafen aus ihrem Zimmer kam.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte ich und zeigte auf einen der Stühle am Tisch. Rose tapste zum Kühlschrank, holte sich eine Limo und setzte sich zu mir. Ich wollte sie schon wieder ins Bett schicken und selbst alles regeln, ließ es dann aber bleiben. Auch wenn sie noch ein Kind war, steckte sie doch bis zum Hals in diesem Schlamassel mit drin. Also sollte sie wenigstens erfahren, was Sache war.
»Was war los?«, fragte Rachel, zog einen Stuhl heran und setzte sich neben Rose. »Wo seid ihr die ganze Zeit gewesen? Jeden Tag habe ich bei dir zu Hause angerufen.«
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete ich. »Wir haben eine ganze Woche verloren. Mehr sogar.«
»Wie bitte?«
»Erst du. Was ist in Deacons Wohnung passiert?«
Sie wirkte von der Frage so überrascht, dass ich die Antwort schon kannte, ehe sie sie aussprach: nichts.
Und genau das sagte sie dann auch. Ein wenig verlegen zuckte sie mit den Schultern. »Als Deacon Rose abgeholt hat, hat er gesagt, ich solle dort bleiben, weil ich bei ihm sicher sei. Er hat aber nicht gesagt, wie lange ich da warten soll. Erst habe ich mich richtig wohl gefühlt. Ich habe mich aufs Sofa gefläzt und irgendwelchen Mist im Fernsehen angeschaut, was ich sonst nie tue. Ich habe das Ganze als eine Art Zwangsurlaub betrachtet. Und den hatte ich bitter nötig, weißt du?«
»Klar.« Welchen Reiz es hatte, sich einen Tag freizunehmen und einfach nur zu faulenzen, verstand ich gerade jetzt sehr gut. »Und dann?«
»Er hat gesagt, ich könne mir aus der Küche holen, was ich will, und er hatte einen guten Cabernet. Also habe ich mir ein paar Gläser eingeschenkt. Danach muss ich auf dem Sofa eingeschlafen sein, denn das Nächste, an das ich mich erinnern kann, war eine Werbesendung für einen Teppichreinigungsapparat, die mich aus dem Fernseher angebrüllt hat. Dann hab ich auf die Uhr geschaut - es war schon fünf Uhr früh, ihr wart seit Stunden fort. Und dann hab ich mir vorgestellt, wie Lucy und Ethel den ganzen Boden vollpinkeln, wenn ich nicht bald nach Hause komme ...«
»Aber Deacon hat doch gesagt, du sollst dort bleiben«, wandte Rose ein.
»Ich habe doch nicht gedacht, dass er für immer meint.«
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