Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
ausgestattet hatte. Aber Rachel folgte nicht mehr den finsteren Spuren ihrer Familie, insofern gab die unterschiedliche Farbgebung wohl ihren geänderten Stil wieder.
»Kann ich was zu essen kriegen?«, fragte Rose.
»Klar«, antwortete ich ohne Bedenken. Wenn Rachel meine Schwester war, dann war sie zugleich auch Roses Schwester. Mehr oder weniger jedenfalls. Ich konnte mich schon gar nicht mehr erinnern, wann wir das letzte Mal was gegessen hatten. Rose musste ja am Verhungern sein.
Sie ging in die Küche und ich hinterdrein. Ich holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank, und Rose setzte sich mit einer Tüte Schokocookies, einer Cola Light und einem Apfel an den kleinen Tisch. Ich ließ mich auf einem Stuhl ihr gegenüber nieder und schnappte mir einen Keks.
Eine Weile aßen wir schweigend. Es war jedoch keine angenehme Stille; es gab zu viel Unausgesprochenes zwischen uns. Es war, als führten wir einen Schweige-Wettstreit durch: Wer zuerst sprach, hatte verloren.
Schließlich gab Rose klein bei. »Das wird eine üble Sache, oder?«
»Ja«, gab ich zu. »Das glaube ich auch.« Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und dachte über die jüngsten Ereignisse nach, über das, für was Morwain stand: für einen Ausweg ohne Schmerz und ohne Leid. Als Königin der Dämonen musste ich schon auch einen Preis zahlen, sicher. Aber ich würde nicht auf ewig in den Feuern der Hölle schmoren. Und es hätte noch einen anderen Vorteil: Kleine Dämonenschleimer würden nach meiner Pfeife tanzen.
Trotzdem kam diese Lösung für mich nicht in Frage. Nein, echt nicht. Zumindest redete ich mir das ein.
»Ach, zum Teufel«, seufzte ich, rückte meinen Stuhl näher zu Rose und nahm sie in die Arme. Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, sodass ich ihren Atem spüren konnte. Eine häusliche Szene, die wir schon oft wiederholt hatten und die in ihrer Vertrautheit eigentlich hätte angenehm sein sollen, stattdessen aber nur pervers war. Denn vertraut war daran gar nichts. Alles hatte sich verändert. Nicht einmal wir waren noch dieselben, weder innerlich noch äußerlich.
Aber trotz allem war sie immer noch meine Schwester. Daran konnte ich mich festhalten. Es gab mir Rückhalt, wenn ich gegen das Dunkle kämpfte, dessen Klauen sich ihren Weg zu meiner Seele bahnten.
»Versuch ein bisschen zu schlafen«, sagte ich. »Dann geht’s dir gleich wieder besser.«
Sie protestierte noch ein wenig, ging dann aber brav ins Schlafzimmer. Neidisch blickte ich ihr nach. Wie gern hätte ich mich ebenfalls in dieses friedliche Vergessen hinübergleiten lassen, aber das ging nicht. Ich war zu überdreht, machte mir zu viele Sorgen - um Deacon, um Rose, um Rachel.
Nicht zu vergessen: um das drohende Ende der Welt.
Deacon glaubte, dass noch ein Schlüssel existierte, und ich hoffte aus ganzem Herzen, er hatte recht. Aber ich hatte berechtigte Zweifel. Zum einen verließ sich Deacon nur auf Gerüchte. Zum anderen hatten wir das verdammte Ding ja schon gesucht und nicht einen einzigen handfesten Beweis gefunden, dass es diesen Schlüssel wirklich gab. Dennoch musste ich weitersuchen. Die Alternativen waren zu grauenhaft.
Außerdem musste ich dafür sorgen, dass der Oris Clef keinem Dämon in die Hände fiel. Ein Talisman, der dem Träger die Macht gab, über das ganze Dämonengeschlecht zu herrschen, war etwas, das jeder Dämon, der diesen Namen verdiente, liebend gern in die Finger bekommen hätte. Morwains selbsterklärte Gefolgschaft war ein positiver Nebeneffekt, aber vermutlich kein Standpunkt, den die Mehrheit seiner Gattungsgenossen teilen würde. Immerhin war es möglich, dass sich nicht wenige Dämonen mir anschlossen in der Annahme, sie würden in meiner Gunst steigen, sobald ich mich durchringen würde, ihre neue Herrscherin zu werden.
Mächtigere Dämonen würden sich darauf allerdings nicht einlassen. Ich würde also die ganzen Petzer und Streber hinter mir versammeln, während die Klassenrowdys alles unternehmen würden, mir das Geld fürs Pausenbrot wegzunehmen.
Und das hieß: Die Angriffe von Dämonen mit Einfluss auf Erden würden ebenso zunehmen wie von Höllenbewohnern wie Penemue.
Das konnte ja heiter werden.
Um beim Thema zu bleiben: Ich rechnete auch damit, dass Erzdämon Kokbiel nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Wie Penemue war er hinter dem Oris Clef her, nur dass Kokbiel sich bisher im Hintergrund hielt und Lucas Johnson die ganze Drecksarbeit machen ließ. Und selbst wenn Kokbiel nicht aus dem
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