Blood Lily Chronicles 03 - Versuchung
Kies knirschte unter seinen Füßen. In dieser relativen Stille klangen die Schritte wie kleine Explosionen. »Jetzt kämpfe ich gegen diese Begierde, Lily. Jede Sekunde an jedem Tag.«
Ich hörte aus seiner Stimme die Qual, und ich verstand sie. Immerhin kämpfte auch ich jeden verdammten Tag.
Wir teilten das gleiche Schicksal, er und ich. Das wusste ich auch ohne Ausflug in seinen Kopf. In ihm machte sich Dunkelheit breit, eine ekelerregende, schreckliche Dunkelheit. Aber in mir nicht minder. Und wir konnten beide nicht mehr tun, als uns gegenseitig zu stützen und zu hoffen, dass unsere vereinten Kräfte reichten, uns wechselseitig zu helfen. Denn was in uns steckte, strebte nach Vorherrschaft. Und wenn das geschah, bevor wir die Pforten zur Hölle versiegelt hatten, dann waren wir schlicht und ergreifend im Arsch. Und die ganze Erde dazu.
Genau davor hatte ich Angst. Dass dieses Untier Deacon bereits unter der Fuchtel hatte, dies aber erfolgreich so lange verheimlichen konnte, bis es für ihn, mich und unseren Planeten zu spät war.
Mit langen, entschlossenen Schritten kam er wieder auf mich zu. »Was muss ich tun, damit du mir voll und ganz vertrauen kannst, ohne Wenn und Aber? Musst du dazu wirklich in meinen Kopf? Ist es unbedingt notwendig, dass du all die furchtbaren Dinge siehst, die ich getan habe, und du fassungslos vor dem ganzen Schrecken stehst, den ich verbreitet habe?«
»Nein, ich ...«
Aber jede etwaige Antwort blieb unausgesprochen, denn plötzlich drückte er mir eine Hand aufs Gesicht und sah mir in die Augen. Ich spürte das starke Zerren der Vision, und während mich die Dunkelheit seines Verstands einsog, sah ich gerade noch, wie er zwar zusammenzuckte, aber standhaft blieb.
Schmerz.
So viel Schmerz.
Und Blut.
Es tropft von den Wänden.
Und Schreie, so laut, so verzweifelt, dass ich fürchtete, sie würden bis in alle Ewigkeit in meinem Kopf nachhallen. Ich wollte davonlaufen. Diesem Horror den Rücken zukehren. Doch ich musste weiter. Erschüttert, aber fest entschlossen zu sehen, was er mir endlich zu sehen erlaubte. Ich befand mich in einem langen, dunklen Korridor. Am anderen Ende brannte ein Licht, ein unheimliches gelbes Licht. Dorthin musste ich, das stand für mich fest. Wenn ich Deacons Vergangenheit sehen wollte, die Dinge, für die ihm die Absolution verweigert worden war, dann musste ich die Tür am Ende des Gangs durchschreiten.
Zögernd setzte ich einen Fuß vor. Sofort schien sich die Tür zu entfernen, der Korridor länger zu werden. Noch ein Schritt, erneut bewegte sich die Tür von mir weg. So ein Mist.
Offenbar war Deacon längst nicht so zugänglich, wie ich gedacht hatte. Doch jetzt war ich nun einmal drinnen - zumal er die Verbindung auch nicht unterbrach -, da würde ich auch in Erfahrung bringen, was ich wissen wollte.
Ich ging weiter. Erst langsam, dann immer schneller, bis ich schließlich rannte in der Hoffnung, seine zögerliche Haltung zu überwinden und das Ende des Korridors zu erreichen, ehe er sich so weit in sich zurückziehen konnte, dass ich mich in seinem Kopf rettungslos verirren würde.
Ich flog regelrecht dahin, und obwohl ich vom Verstand her wusste, dass ich gar nicht wirklich rannte, rang ich nach Luft.
Ich ließ nicht locker, auch dann nicht, als aus den Wänden immer mehr Blut strömte und den Boden unter mir in eine Rutschbahn verwandelte.
Ich geriet ins Schlingern. Mein ganzer Körper war plötzlich bedeckt mit dem Zeug, die Blutgier kam über mich. Ich wurde langsamer, um daran zu schnüffeln, davon zu kosten. Schlagartig war mein einziger Wunsch, in diesem Fluss aus Blut einfach stehen zu bleiben.
Nein.
Er war das. Vielleicht handelte er nicht mit voller Absicht so, aber er versuchte, mich aufzuhalten. Er wollte nicht, dass ich es sah. Er wollte nicht, dass ich es erfuhr.
Aber ich musste es wissen. Und ich rannte wieder los, ohne meiner perversen Lust nachzugeben. Denn jetzt konnte ich nicht mehr umkehren. Was auch passieren mochte, ich musste sehen, was hinter dieser Tür lag. Denn wie konnte ich ihm vertrauen, wie konnte ich ihm glauben, solange ich nicht wusste, wer und was er wirklich war? Und was er getan hatte?
Wie, so fragte ich mich, konnte ich diesen Mann lieben, ohne ihn voll und ganz zu verstehen?
Und ich liebte ihn ja. Mit ihm fand ich Erfüllung und Vollendung. Nur in seinen Armen fühlte ich mich geborgen.
Glaube.
Die Stimme war leise, fast unhörbar. Ich wischte sie weg wie eine Mücke und rannte
Weitere Kostenlose Bücher