Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
ihr. Er rechnete mit Sarahs Protest, mit einer Flut an Argumenten, die für Dustins Unschuld sprachen, mit Vorwürfen ihm gegenüber.
»Darf ich dich etwas fragen?«, fragte Sarah stattdessen ganz ruhig.
»Sicher.«
»Emilia hat eben so gemeine Dinge gesagt. Zu dir, meine ich. Worte, die verletzen, die unverzeihlich sind. Was hat sie nur mit dir angestellt, Jonathan? Wie konntest du sie für so lange Zeit ... lieben?«
Jonathan sah, dass Tränen in Sarahs Augen getreten waren, in denen sich Verwirrung und Unverständnis spiegelten. Seine Brust durchfuhr ein schmerzhafter Stich. In diesem Augenblick fühlte er sich durchschauter und entblößter denn je. Mehr noch als in jenen zahlreichen Momenten, in denen Emilia ihn beschimpft und mit Vorwürfen regelrecht überschüttet hatte.
Er schluckte, senkte beschämt den Blick, suchte fieberhaft nach einer Antwort, nach einer Rechtfertigung, durchwühlte sein Gedächtnis nach bunten Bildern und schönen Zeiten der Vergangenheit. Er wollte Sarah von früher erzählen, als Emilia noch hübsch, lebensfroh und herzlich gewesen war und sie wunderbare, glückliche Momente miteinander verbracht hatten. Doch in seiner Erinnerung blieb alles verschwommen, vage und farblos. Nichts von damals war mehr in ihm übrig. Das Mädchen, das er einst geliebt hatte und das er krampfhaft versucht hatte, in seiner Erinnerung am Leben zu erhalten, existierte nicht mehr. Es hatte sich davongestohlen.
Schließlich hob Jonathan seinen Blick und sah Sarah in die Augen. Ratlos schüttelte er den Kopf. »Ich ... ich weiß es nicht mehr.«
»Warum siehst du mich so an? Was hast du vor? Was soll der Mantel?«
»Es ist so weit. Ich werde fortgehen, Henry.«
»Was? Aber, Emilia ... Du bist hier aufgewachsen. Dieses Haus, diese Stadt, das alles, das gehört zu dir. Du darfst deine Heimat nicht einfach verlassen. Das würde dir bald schon ...«
»Was? Etwa das Herz brechen? Ach Henry, ich gehörte hierher, als ich noch ich war. Aber machen wir uns nichts vor, mein Leben ist Vergangenheit. Nichts wird mehr so sein wie früher. Früher ... das ist nichts als ein kurzer Augenblick, der vorbeigeht und schon bald keinerlei Bedeutung mehr haben wird. Nicht für denjenigen, für den die Zukunft den Namen Ewigkeit trägt. Es ist sinnlos, an diesem Früher festzuhalten, ich werde es ohnehin verlieren. Je eher ich es loslasse, desto besser. Ich will das alles hier vergessen, verstehst du? Ich möchte nicht jeden Tag daran erinnert werden, was einst mein Leben war. Und vor allem, wer ich war.«
»Aber das ist wichtig, Emilia, du musst dich an all das erinnern. Sogar George hat dir geraten, deine Erinnerungen am Leben zu erhalten, weißt du denn nicht mehr? Du darfst niemals vergessen, wer du warst, worüber du dich gefreut hast, was dir wichtig war. Wenn du dich aufgibst, dann wirst du irgendwann ein Nichts sein, ein Niemand. Willst du das wirklich?«
»Aber das bin ich doch schon längst, Henry, siehst du das denn nicht? Ich habe meinen Entschluss gefasst. Ich muss gehen, sonst werde ich niemals Ruhe finden. Ich will mich auf die Suche nach IHM machen. Ich will, dass er mir in die Augen sieht und begreift, was er mir durch seine Lüge angetan, dass er meine Seele beraubt und meine Hoffnung zerstört hat. Und ich will, dass auch er leidet. Ich will Rache, mehr als alles andere. Das soll mein Ziel sein. Vielleicht wird danach alles besser, ich weiß es nicht ...«
»Du willst also dein Zuhause verlassen, um nach ihm zu suchen? Nach Dustin?«
»Sprich seinen Namen nicht aus, Henry. Ein Scheusal wie er verdient es nicht, beim Namen genannt zu werden. Ja, ich will, ich muss ihn finden. Ich habe zwischendurch versucht, ihn aus meinem Gedächtnis zu streichen, ihn in meinen Träumen zu ignorieren, aber ... es geht nicht, mein Hass ist einfach zu groß. Ich kann ihm niemals verzeihen, selbst wenn ich es wollte.«
»Und ... wohin gehst du? Wo wirst du mit deiner Suche beginnen?«
»Wozu willst du das denn wissen? Versuch, mich so schnell wie möglich zu vergessen, Henry, genau wie ich es auch versuche.«
»Ich kann dich aber nicht vergessen, Emilia. Und ich will dich nicht allein gehen lassen. Ich verstehe, dass du nach wie vor nach Vergeltung strebst. Ich ... ich habe dir damals versprochen, an deiner Seite zu bleiben, dich zu beschützen und nach Dustin zu suchen, um ihm heimzuzahlen, was er dir angetan hat. Ich dachte, wenn wir die Vergangenheit ruhen lassen und die alten Wunden nicht mehr aufreißen,
Weitere Kostenlose Bücher