Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
– du hättest doch bestimmt schon früher die Möglichkeit dazu gehabt, sie herauszufordern. Warum erst jetzt?«
Dustin senkte den Kopf. »Eine Zeit lang dachte ich noch, Emilia würde es leid werden, mich zu verfolgen. Und dann, als ich gemerkt habe, dass sie niemals aufgeben würde, bekam ich es mit der Angst zu tun.« Dustin wandte sich ihr wieder zu. »Ich hatte tatsächlich Angst, May, um mich und um meine Existenz. Deshalb bin ich immer nur geflüchtet und habe versucht, Emilia von meiner Spur abzulenken. Ich habe mich ihr unterlegen gefühlt, wahrscheinlich weil ...« Dustin brach mitten im Satz ab und fuhr sich nervös durch die Haare. May spürte, dass es ihm schwerfiel weiterzureden. Trotzdem sah sie ihn erwartungsvoll an.
»Wahrscheinlich, weil ein Teil von mir wusste, dass Emilias Wut und ihr Zorn auf mich vielleicht sogar ... berechtigt waren«, fuhr er schließlich fort. »Zumindest ein Stück weit. Der Gedanke, niemals alt zu werden, dem Tod zu entkommen - er hat mich wohl damals zu sehr berauscht und blind gemacht für die Realität. Es war so ... verführerisch. Ich hatte nichts zu verlieren, May, verstehst du? Entweder, Emilia und ich wären glücklich nebeneinander erwacht und hätten ein wunderbares, wenn auch endliches Leben miteinander geführt, oder aber ... ich hätte die Ewigkeit als Geschenk bekommen. Letzteres ist eingetreten. Und alles ist anders geworden, als ich erwartet hatte.«
May starrte Dustin voller Erstaunen an. Sie hatte, seit sie sich kannten, ausschließlich zu hören bekommen, wie willkürlich, hinterhältig und grausam Emilia war. Aber kein einziges Mal hatte Dustin auch nur ansatzweise zugegeben, dass er eine Mitschuld an ihrem Wesen haben könnte. Nie hatte er Zweifel an sich selbst geäußert. Vielleicht stimmte es ja und Sarahs Blut hatte ihm seine Erinnerung an sich selbst tatsächlich zurückgegeben. Sein Gewissen ...
»Es ist schwer ...«, murmelte May. »Es ist schwer, in dieser ganzen Angelegenheit ... von Schuld und Unschuld zu sprechen. Oder von Gerechtigkeit.«
Dustin nickte. »Aber jetzt, jetzt weiß ich, dass Emilia zu weit geht. Ihr Wüten und Morden hat zu große Ausmaße angenommen. Dieses Blutvergießen muss endlich ein Ende haben. Jetzt bin ich mir auch sicher, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, Emilia herauszufordern. Sie hat sich selbst vergessen, sie kennt keine Grenzen mehr und keine Regeln. Ich muss keine Angst mehr davor haben, sie zu bekämpfen, denn ich weiß, warum ich es tue.«
»Weil du Sarah liebst?«
Dustin nickte. »Ja.«
»Ich weiß nicht, wo Dustin steckt, Jonathan. Wir hatten vereinbart, uns in der nächsten Zeit nicht mehr zu kontaktieren. Er meinte, es sei besser so. Sicherer ... für jeden von uns.«
Sie schwiegen beide und vermieden es, sich in die Augen zu sehen. So ging das nun schon seit mehr als zwei Stunden und Sarahs Kopf schmerzte vor Angst und Konzentration. Sie kamen keinen Schritt weiter und die Zeiger der riesigen Wanduhr rückten erbarmungslos voran. Sarah fühlte sich in der Klemme. Sie wollte nicht noch mehr Fehler begehen und hatte Angst, verräterische Fragen zu stellen oder Antworten zu geben, die Dustin und sie in noch größere Schwierigkeiten brachten - sofern das überhaupt noch möglich war. Deshalb gab sie so wenig wie möglich von sich. Vorsichtig schielte sie zu Jonathan, der unaufhörlich nervös mit dem Fuß auf und ab wippte und sich von Zeit zu Zeit Schweißperlen von der Stirn wischte.
Wenn ich doch nur wüsste, wie er mittlerweile zu mir steht und ob er noch immer Gefühle für mich hat, dachte Sarah. Aber Jonathan war ebenso wortkarg wie sie selbst und bisher hatte er ihr Verhältnis mit keiner Silbe angesprochen. Im Moment schien er tief in Gedanken. Klar, er hat genauso große Angst wie ich, überlegte Sarah. Ihm wird Emilia ebenfalls etwas antun, wenn er ihr Dustin nicht pünktlich ausliefert. Er und ich - wir sitzen im selben Boot, auch wenn wir unterschiedliche Ziele haben.
Sie rieb sich die Schläfen und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Wenn sie hier nur weiter stumm und untätig herumsaßen, würde das nichts bewirken, so viel stand fest. Einer von ihnen musste endlich den ersten Schritt machen und dafür sorgen, dass das Gespräch in Gang kam.
Zunächst ist es das Wichtigste, dass wir zusammenarbeiten, sagte sich Sarah. Falls es auch nur die geringste Chance geben sollte, uns aus Emilias Gewalt zu befreien, dann müssen Jonathan und ich einen gemeinsamen Weg einschlagen.
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