Blood Romance 04 - Ruf der Ewigkeit
»Aber ... was ich damit mache«, sie hielt den Brief hoch, »das überlege ich mir noch.« Damit steckte sie ihn wieder ein und packte Jonathan grob am Ärmel seiner Jacke. »So, jetzt komm endlich. Eben hattest du es doch noch so eilig«, zischte sie und schob ihn vor sich her zur Tür.
»Mach es gut, Sarah, bis ... nachher.«
Sarah schaffte es nicht, auf Jonathans Worte zu reagieren. Stattdessen starrte sie zu Boden. Erst als sie die schwere Eisentür ins Schloss fallen hörte, blickte sie wieder auf - und sah, dass Emilia das Fenster unterhalb der Decke offen gelassen hatte.
Ich verlasse das kleine Vorstadtreihenhaus und lasse Clara allein. Sie winkt lachend von ihrem Fenster aus und wirft mir eine Kusshand zu. Ich lächle zurück , dann mache ich mich auf den Nachhauseweg. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich nach ihren Besuchen wieder aus der Haustür trete, obwohl ich gerne mit Clara zusammen bin. Sie ist so unbeschwert und fröhlich. Immer lacht sie, immer hat sie gute Laune und Tausende von Ideen. Es wird nie langweilig mit ihr. Aber ... ich fühle mich in ihrem Zuhause nicht wohl. Alles ist so eng, jede Ecke vollgestellt mit Dingen, die keinen Nutzen haben. Das nimmt mir die Luft zum Atmen. Außerdem kommen ihre Eltern bald zurück und ich drücke mich davor, sie kennenzulernen. Ich bin nicht dieser Typ Schwiegersohn.
Aber es wird höchste Zeit, dass ich mit Clara rede. Ewig werde ich nicht verbergen können, dass ich ... anders bin als die anderen. Ich glaube, die Zeit dafür ist reif. Aber ... ob sie wirklich die Richtige ist? Ob sie versteht, was ich ihr erzähle? Ich muss es wenigstens versuchen, muss ihr meine Geschichte behutsam beibringen - und mich dennoch kurzhalten. Dann werde ich am ehesten an ihrer Reaktion erkennen, wie sie zu mir und dieser ... Sache steht.
Ich schlendere die Allee entlang in Richtung des Chicagoer Stadtzentrums. Es ist nach Mitternacht und außer mir ist niemand unterwegs. Die Ruhe tut gut. Meine Wohnung liegt weiter in der Innenstadt, dort herrscht immer Lärm, aber der ist wichtig für mich. Er kittet mich ans Leben, lässt mich glauben, dass ich noch dazugehöre, ein Teil davon bin.
Ich biege ab in eine finstere Seitenstraße. Die Laternen sind ausgefallen, es ist stockdunkel hier. Plötzlich höre ich Geräusche, Schritte ... Hinter mir ist jemand. Ich bleibe stehen und blicke mich um. Ein seltsam beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit, als ich ein Stück entfernt die Umrisse eines Mannes erkenne. Er ist groß und sehr schlank - beinahe mager. Man kann es sehen, obwohl er einen Mantel trägt. Einen Mantel - mitten im Sommer! Auch er ist stehen geblieben. Wir sehen uns an, bestimmt vergeht eine ganze Minute, in der wir uns einfach nur in die Augen starren - es ist wie ein stummer Kampf. Keiner will den Blick als Erster abwenden. Plötzlich aber, ohne ersichtlichen Grund, dreht sich der Mann um und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Ich bleibe noch einen Moment verdutzt stehen und schüttle den Kopf. Dann laufe ich weiter. Irre gibt es eben überall, denke ich.
Erst zu Hause wird mir bewusst, wie irr die Begegnung mit dem Mann tatsächlich gewesen ist, und ich erschrecke noch im Nachhinein. Auch er hat mir direkt in die Augen gestarrt, hat mich fixiert, seinen Blick an mir festgesaugt. Er muss mich selbst aus dieser großen Entfernung genau erkannt haben. Obwohl es stockdunkel war. Und ich weiß: Kein Mensch ist zu so etwas fähig.
»Wo, Henry? Verdammt noch mal, wo steckt er?« Emilias Katzenaugen schnellten hin und her. Jonathan merkte, wie sich allmählich Panik in ihm ausbreitete. Dustin musste kommen, er musste einfach.
»Dustin? Du verdammter Feigling, wo steckst du?« Emilias Stimme durchbrach die Stille. »Du wolltest einen Kampf, du sollst ihn bekommen. Zeig dich besser, denn wenn du es nicht tust, wird Sarah sterben. Hörst du? Sie wird sterben, noch heute Nacht! Ich persönlich werde ihr jeden Tropfen Blut aus dem Körper saugen, werde mir ihre Eingeweide auf der Zunge zergehen lassen. Stück für Stück werde ich sie auseinandernehmen und nicht das Geringste von ihr übrig lassen. Sie ist so ein süßes Ding, wirklich ... Aber sie sitzt bei mir zu Hause und hat Angst, die Arme. Schreckliche, schreckliche Angst. - Emilia drehte sich im Kreis und Jonathan schauderte bei ihrem Anblick und dem boshaft kalten Klang ihrer Stimme.
Dustin, du wirst mich doch jetzt nicht hängen lassen, nicht jetzt ... Komm endlich, bitte, bitte komm, flehte Jonathan stumm.
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