Blood Sun
zu bleiben, blickten ein paar Frauen, die offenbar als Gefangene in einem Gemüsegarten arbeiteten, auf und starrten mit ausdruckslosen Gesichtern zu den Kindern herüber. Sie wagten aber nicht, länger hinzuschauen. Max sah, dass sie Angst hatten.
Max musste an rabiate Türsteher denken, als die Schlangenkrieger die Kinder grob zu einem überwachsenen Eingang schubsten, der wie ein kurzer Tunnel aussah. Das Mauerwerk war intakt, doch jeder einzelne Stein des Bauwerks war von Pflanzen überwuchert.
Max, der noch immer von den Kriegern umringt wurde, ging als Erster hinein. Ihm folgten Flint, Xavier, Sturmfalke und Untergehender Stern. Einige der kleineren Kinder weinten und wurden von den Älteren getröstet. Die besänftigenden Laute der Maya-Sprache verstummten jedoch, als die Gefangenen aus dem anderen Ende des Tunnels traten.
Die Hauptfläche war größer als zwei Fußballfelder: Links und rechts erhoben sich schräg abfallende Steinmauern. Darauf prangten finster blickende Statuen mit den Gesichtern alter Götter, die Max an den Totempfahl erinnerten, auf den er im British Museum gestiegen war. Über diese Mauern führten Stufen nach oben zu einem flachen Dach. Am Ende des Feldes befand sich eine Stufenpyramide, die seiner Schätzung nach fünfzig, sechzig Meter hoch war. Am oberen Ende stieg Rauch auf, der die Spitze verhüllte. Es standen hier auch noch andere Bauten, die meisten davon waren jedoch kaum mehr als Ruinen. Bestimmt war der ganze Komplex einmal sehr eindrucksvoll und bunt bemalt gewesen.
Max packte die Verzweiflung, denn er kannte keines dieser Gebäude von den Fotos seiner Mutter. Er durfte seine Hoffnung jetzt bloß nicht begraben und sich von der Traurigkeit alle Kräfte rauben lassen. Es musste noch andere Gebäude geben, die er bisher nicht gesehen hatte.
Aus der dichten Vegetation drangen die Schreie von Brüllaffen, die wie Wächter vor den Toren der Hölle die Verdammten empfingen.
Max sah sich die Bauwerke genau a n – jeder Fries und jede Skulptur stellte eine Szene aus dem antiken Leben der Maya dar. Ach könnte ihm doch eine der Steinfiguren zeigen, wo das Foto aufgenommen worden war, wo seine Mutter gestande n – und gelächel t – hatte!
Als die Gefangenen zum Stehenbleiben aufgefordert wurden, raunte Flint Max zu: »Das waren heilige Städte. Die Gebäude wurden nach den Himmelskörpern ausgerichtet, damit man an ihnen die Bewegungen der Planeten ablesen konnte. Siehst du den Rauch da oben? Das ist der Platz der Seherschlange. Dort werden Riten abgehalten. Die Maya opfern Kriegsgefangene, indem sie ihnen das Herz herausschneiden.«
Eine Gestalt stand auf der Pyramide. Ihr Gewand war mit schillernden Federn besetzt. Sie hielt einen Stab in der Hand, an dem so etwas wie ein Weihrauchgefäß hing. Max’ Brust krampfte sich zusammen. Er sah sich schon auf dem Opferstein liegen und seinen letzten Atemzug aushauchen.
Ein Schwarm leuchtend roter Aras flog krächzend über die Kultstätte hinweg und ließ sich auf den Bäumen nieder. Sie kamen Max wie rote Blutstropfen vor, die sich auf dem Grün des Waldes verteilten.
Aus einem Gebäude traten weitere Krieger. Sie marschierten auf die Kinder zu. Max war sich sicher, dass sie nur die Vorhut bildeten.
Hinter ihm flüsterte jemand: »Chico!«
Vorsichtig blickte Max über die Schulter und sah, dass Xavier mit seinen gefesselten Händen auf die Neuankömmlinge zu zeigen versuchte.
»Das sind nicht alles Maya-Krieger, Max. Sieh dir ihre Tätowierungen an, das sind Gangster-Tattoos. Die Kerle sind bestimmt noch nicht lange hier.«
Max betrachtete die Männer. Xavier hatte Rech t – sie sahen wirklich wie Gangster aus. Doch bevor er sich darüber weitere Gedanken machen konnte, erschienen zwei wichtig wirkende Männer und ein Junge auf dem Platz. Sie näherten sich den Gefangenen.
Sie trugen edle Stoffgewänder, die von Lederriemen um die Taille zusammengehalten wurden, und eine Art Turban, der das schulterlange Haar halb verdeckte.
Mehrere Krieger tanzten um die Neuankömmlinge herum. Flöten und große Trommeln wetteiferten mit den schrillen Klängen von Tonpfeifen. Sehr viel leiser waren die Fußrasseln, die Max unwillkürlich an Sand denken ließen, der auf ein Blechdach rieselte.
Die Anführer blieben zehn Meter vor Max und den anderen Gefangenen stehen. Ein Krieger kniete sich vor ihnen hin und schien ihnen etwas zu erklären. Die bedeutenden Männer wirkten beunruhigt. Und dann rief Sturmfalke ihnen etwas in der
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