Blood Sun
Gesicht. In der beißenden Kälte tränten ihm die Augen. Noch etwa zwanzig Minuten lang würde es fast taghell sein, das war seine Chance, ein gutes Stück hinter sich zu bringen.
»Jagdbombermond« hatte seine Oma den Vollmond in einer klaren Nacht genannt. Im Zweiten Weltkrieg hatte sie als Kind die Flächenbombardierungen erlebt und später zog sie in jeder schönen klaren Nacht hastig die Vorhänge in ihrer bescheidenen Wohnung zu. Max aber kam das jetzt gerade recht. Das Mondlicht zeigte ihm, wie er zu gehen hatte. Bald war er von der Schule aus nicht mehr zu erkennen, und dann konnte keiner, der zufällig noch wach war, seinen Schatten über die verschneite Landschaft huschen sehen.
Nur dass die Gefahr nicht in der Schule hinter ihm lauerte.
Drew wollte Max den Weg abschneiden und rannte in stetigem Tempo auf ihn zu. Er brauchte weder ein Nachtsichtgerät noch Ferngläser, die dunkle Gestalt des Jungen mit dem Fahrrad hob sich deutlich von der mondbeschienenen Landschaft ab. Irgendwo hinter ihm hielt sich Stanton mit dem Range Rover bereit, falls Drew den Jungen aus irgendeinem Grund doch nicht erwischen sollte.
Max hatte bereits über einen Kilometer zurückgelegt. Das T-Shirt klebte ihm schweißnass auf der Haut. Als der Tierpfad in einen richtigen Weg überging, stieg er auf das Mountainbike und trat kräftig in die Pedale. Bei dem Tempo würde er einen guten Vorsprung herausholen. Wenn alles glattging, würde er noch vor Beginn des Berufsverkehrs in der Stadt sein. Er war so mit seinen Plänen für die nächsten Stunden beschäftigt, dass er den dicken Stein vor sich auf dem Weg nicht bemerkte. Das Vorderrad prallte dagegen und er verriss den Lenker. Da er sich aus dem Sattel gestemmt hatte, um das Rad mit dem ganzen Gewicht seines Körpers voranzutreiben, stürzte er zur Seite in die Ginsterbüsche.
Das Eis und die Ginsternadeln zerkratzten ihm das Gesicht. Max fluchte, doch als er das Rad aufrichtete, war er froh über den Unfall. Während er sich erhob, sah er nämlich den Weg zurück, den er gekommen war. Über den flachen Hügel links von ihm rannte ein Schatten. Es war ein großer Mann und er war keine dreihundert Meter von Max entfernt. Mit kraftvollen Sätzen kam er auf ihn zugelaufen, sprang über Hindernisse oder wich ihnen geschickt aus.
Max erstarrte vor Schreck. Aber er fing sich schnell und stieg hastig aufs Rad. Als er losfuhr, fanden die Reifen gleich wieder Halt auf dem gefrorenen Matsch.
Er atmete so tief wie möglich ein und aus und trat dann aus Leibeskräften in die Pedale. Oma hatte Recht! Ein Jagdbombermond hetzte einem den Feind auf den Hals! Wo blieben bloß die dicken Wolken von vorhin?
Er wagte einen Blick über die Schulter. Sein Gegner hatte aufgeholt. Max kam ein schrecklicher Gedanke. Der Mann, der ihn so unermüdlich verfolgte, musste ungeheuer fit sein. Er war ohnehin schon schnell durch das unebene Gelände gelaufen, aber jetzt hatte er sogar noch an Tempo zugelegt. Offenbar verfügte er über enorme Kraftreserven.
Max wusste, dass er diesem Mann nicht würde entkommen können.
Du musst das Gelände kennen und deinen Verstand benutzen. Zum Überleben braucht man mehr als Mut und Kraft , schien ihm sein Dad wie ein Schutzengel zuzuflüstern.
Und Max kannte das Gelände! Seit er auf die Dartmoor High ging, hatte er diese Hügel immer wieder kreuz und quer durchstreift. Hier wimmelte es nur so von gefährlichen Stellen. Militärische Sperrgebiete, alte Bergwerksschächte und tückische Sümpf e – das waren jede Menge Fallen, in die jemand geraten konnte, der sich nicht auskannte.
Wohin? Die Gedanken rasten durch seinen Kopf. Den Weg verlassen! Schwierigkeiten einbauen. Ihn zwingen, auf seine Schritte achtzugeben! Ihn dazu bringen, dich für einen Moment aus den Augen zu lassen!
Die eisige Luft schmerzte in seiner Lunge. Schneller! Nicht umdrehen! Max hörte die Stiefel des Mannes durch die gefrorenen Ginsterbüsche preschen. Das schwere Rad zu tragen, würde ihn langsamer machen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, da er hier nicht weiterfahren konnte.
Max schlug einen Haken nach links und lief an einer kleinen Felsgruppe vorbei. Voller Hoffnung sah er den äußersten Rand der Mondscheibe wie ein Grinsen hinter den Wolken verschwinden. Dunkelheit! Er brauchte Dunkelheit. Noch zwanzig Meter. In der Ferne erstreckte sich der Wald, davor lag unebenes Grasland. Ein letzter Lichtschimmer bestätigte ihm, was er vor seinem inneren Auge sah.
Er wandte sich nach
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