Blood Sun
Seite.
»Okay«, sagte Drew. »Wir warten. Wenn er Angst kriegt, haut er ab.«
5
D ie Erdwärmeheizung machte die Luft trocken. Max lief die Treppe hinab in die Finsternis. Der Tresorraum lag tief unter der Erde wie ein ägyptisches Grab.
Als er dort ankam, ließ er den Strahl seiner Stirnlampe über die Tresorwand huschen, bis er das gesuchte Fach fand. Er öffnete es und wurde dabei von den Erinnerungen an den Tag überschwemmt, an dem er das letzte Mal in diesem Raum gewesen war. Sein Vater war seinerzeit in Afrika verschollen und jemand hatte versucht, Max umzubringen. Nachdem er damals seinen Pass aus dem Tresor geholt hatte, war er in ein schreckliches Abenteuer geraten, an dessen Ende sein Dad den Verstand verloren hatte. Max nahm heraus, was er brauchte, und klappte das Fach wieder zu. Dann hielt er nach einem anderen Ausschau.
In den vergangenen Wochen hatte er sich in anstrengende Aktivitäten gestürzt, um die sinnlose Wut und die quälenden Zweifel loszuwerden, die ihn fertigmachten und die Liebe zu seinem Vater zu untergraben drohten. Eigentlich hätte nichts diese Liebe erschüttern könne n – nichts außer der Vorstellung, dass seine Mutter gestorben war, weil sein Dad sie allein im Dschungel zurückgelassen hatte.
Während er die steile Treppe hinaufhetzte, glaubte er etwas gefunden zu haben, worauf er all seine Hoffnungen und Kräfte richten konnte. Danny Maguire war tot, hatte es aber irgendwie noch geschafft, ihm dieses Quipu zu schicken. Eine Botschaft, die nur ein Fachmann entschlüsseln konnte.
Als Max den Treppenabsatz erreichte, hatte er die ersten hundertdreiunddreißig Stufen des Weges zurückgelegt, der ihn zur Wahrheit über den Tod seiner Mutter führen sollte.
Max klappte den Laptop zu, schob ihn in die Computertasche und gab sie Sayid. Damit waren seine Reisevorbereitungen abgeschlossen.
»Bewahr ihn gut für mich auf. Wenn die erst mal wissen, dass ich nicht mehr da bin, werden sie danach suchen, weil sie sich irgendwelche Hinweise erhoffen. Mach dir deswegen bitte keinen Kopf, Sayid, aber lass sie wenigstens ein paar Stunden schmoren, ja? Dann kannst du ihn rausrücken.«
»Okay.«
»Du hast dir alles gemerkt, worum ich dich gebeten habe?«
»Ich heiße doch nicht Baskins!«
»Entschuldige bitte. Also gut, ich sollte mal langsam verschwinden.«
»Du gehst jetzt?«, fragte Sayid zitternd. Er gähnte. Es war noch dunkel draußen und er sehnte sich nach seinem warmen Bett. Im Gegensatz zu Max besaß er nicht die Fähigkeit, sein Schlafbedürfnis und die lähmende Erschöpfung, die Angst mit sich bringt, zu unterdrücken.
»Ich muss über das Moor«, sagte Max und zog seine Handschuhe an. »In ein paar Stunden wird es hell. Wenn ich bleibe, lässt M r Jackson mich garantiert von einem unserer Lehrer beobachten und erteilt mir lauter Aufträge, damit ich nicht verschwinden kann, bis die Leute hier auftauchen, die mit mir reden wollen.«
Max zog den Reißverschluss seiner Fleecejacke hoch und zurrte die Knöchelriemen seiner wasserdichten Überhose fest. Er musste einen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegen und der Boden war trotz der Eiseskälte sicher matschig. Dann setzte er die Mütze auf, ließ aber die Ohren fre i – die brauchte er, um alles hören zu können.
»Danke für die Knete«, sagte Max.
Sayid hatte in seiner Sockenschublade gewühlt und ihm alle Scheine gegeben, die er sich mit Gelegenheitsjobs als Computerexperte verdient hatte. Max hatte seine Spardose geleert und auch die Kreditkarte eingesteckt, die sein Vater ihm für Notfälle besorgt hatte. Doch die wollte Max nur benutzen, wenn es gar nicht mehr anders ging.
»Ich komm noch mit nach unten«, sagte Sayid.
»Nein. Mach das Licht aus, dann verschwinde ich.«
Sayid wusste, dass Max Recht hatte. Sein Freund konnte sich freier bewegen, wenn er sich nicht auch noch um ihn kümmern musste. Die beiden Jungen umarmten sich.
»Pass auf dich auf, Max.«
»Natürlich. Und mach dir keine Sorgen, ich melde mich. Aber ich muss mir einfach Klarheit verschaffen.«
Als Sayid das Licht ausgeknipst hatte, nahm Max seinen Rucksack und huschte lautlos zu der Hintertür, die auf den asphaltierten Hof hinausführte, auf dem er keine Fußspuren hinterlassen würde. Er hob sich Sayids Mountainbike auf die Schulter, schlich um die Außengebäude herum und wählte dann einen Tierpfad, der sich zwischen Ginsterbüschen und Heidekraut davonschlängelte. Der eisige Nordwind trieb dicke Wolken heran und blies ihm ins
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