Bloody Mary.
würde nie arm sein. Und doch, während er in seiner tristen Suite in den Londoner Docklands wartete, trauerte er der Zeit nach, als er mitten in der Nacht jemanden auf der anderen Seite der Erde anrufen konnte, und dieser Jemand hörte sich dann pflichtschuldigst an, was er gerade zu sagen hatte, und die Angst dieser Leute bestätigte Hartang, daß er Macht besaß. Das war jetzt nicht mehr möglich. Die allgegenwärtigen »sie« würden den Anruf abfangen, trotz des Sprachverschlüsselers jedes einzelne Wort erfahren, das er von sich gab, und auch seine vorsichtigsten Aussagen analysieren. Das wußte er so genau, wie er wußte, daß seine diversen Tarnnamen in Verhörräumen der Polizei in Rom und Palermo genannt wurden, in New York, Los Angeles und in südamerikanischen Städten, von Leuten, die ihn genauso verpfeifen wollten, wie er sie verpfiffen hatte. Was ihnen schwerlich gelingen würde, weil man ohnehin die Computerdisketten bereits in einem kolumbianischen Garten gefunden hatte und Dos Passos’ Tod in den Zeitungen und im Fernsehen bekanntgegeben worden war. Es hieß, er sei nach einer Woche in Polizeigewahrsam bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Auf dem Heimweg nach einem so kurzen Verhör in Bogota platzt Dos Passos ein Reifen? Und die Disketten mit Unmengen von Infos lagen in seinem Garten. Da sah man mal wieder, daß man heutzutage keinem, aber auch gar keinem trauen konnte.
Und noch etwas anderes ließ Hartang keine Ruhe. Wer auch immer diese Geschichte geplant und ausgeführt hatte, sie hatten genau gewußt, was sie taten. Nichts hatte man dem Zufall überlassen. Diese Leute hatten Kudzuvine benutzt, weil er ein Kretin war und sie über ihn an Hartang herankamen. Daran zweifelte er keinen Augenblick. Und Hartang hatten sie sich vorgeknöpft, weil sie damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlugen: Er kannte die Quellen, die Höhe der Beträge und wußte, wohin das Geld geflossen war, was kein anderer wußte, wirklich keiner. Und warum? Weil sämtliche Informationen entweder in seinem Kopf steckten oder in so viele überall verstreute Bruchteile zerlegt waren, daß man das Ganze nicht fand, und wenn man noch so viele Zahlen von einem noch so hochentwickelten Computer addieren ließ. Der würde nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach kein erkennbares Muster finden.
Und selbst wenn er es fände, würde dieses Muster ihn nicht weiterbringen, weil es sich nicht deutlich von all den anderen Mustern unterschied, die er entdeckte, da man ihm die erforderlichen Zahlen nicht eingeben konnte. Die Schnittstellen gab es nur in seinen Gehirnwindungen, und wenn er Alzheimer bekam oder starb, verschwand das Gesamtbild mit ihm. Die Idee hatte er von einem Spinner auf einem Autoschrottplatz bei Scranton bekommen, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens war. Der hatte folgendes gesagt: »Er muß hier sein, der Sinn des Lebens«, und dann hatte er eine Radkappe hochgehoben und gelacht. »Das könnte er sein. Wär doch möglich, oder?« Und Hartang hatte ihm zugestimmt, der Sinn des Lebens könnte tatsächlich die Radkappe eines alten Hudson Terraplane sein, der nicht mehr hergestellt wurde. Yeah, der Irre hatte ihm gezeigt, wie man das, was versteckt werden mußte, in einem Chaos kalkulierten Irrsinns verbarg. »Sie« hatten sich also den Richtigen vorgeknöpft und ihn sich geschnappt, und im Gegenzug hatte er ihnen genug von dem preisgegeben, was sie wollten, ohne alles zu verraten. Aber wer hat ihn geschnappt? Wer hatte diese Falle gestellt? Es mußte eine Regierungsbehörde sein. So nett, wie die ihn behandelten, war nichts anderes denkbar.
Edgar Hartang stellte den Kassettenrecorder an und setzte seine Sprechübungen fort. Er durfte nicht vergessen, sich ordentlich auszudrücken. Mußte lernen, »Scheiße« und »Kacke, verdammte« aus seinem Wortschatz zu streichen.
36
Skullion saß auf der Veranda und schaute finster über den Garten und die Wattlandschaft hinweg auf das dahinterliegende Meer, als Mrs. Morphy Purefoy und Mrs. Ndhlovo durch das Haus führte.
»Ich muß schon sagen, Mr. S. ist ein ganz schwieriger Mensch, isser wirklich«, berichtete sie ihnen. »Die anderen, Dr. V. und Mr. L., klar haben die ihre kleinen Macken, was man in ihrem Alter auch erwarten muß, aber unfreundlich sind sie nicht, finde ich. Bloß ein bißchen schmutzig, Sie verstehen schon, aber wie ich immer zu Alf sage, der mein Mann ist, wenn du mal in dem Alter bist – bei seinem Gerauche und Gesaufe eher unwahrscheinlich
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