Bloody Mary.
das?«
Der Praelector schüttelte den Kopf. »Nein, wissen wir nicht, aber eine Vermutung darf ich wohl äußern. Der Obertutor will uns glauben machen, es handele sich um eine Gruppe von Finanziers aus der Londoner City, die Sir Godber Evans Unternehmungen in ihrem Interesse honorieren wollen. Das nehme ich ihm aber nicht ab.«
Der Dekan auch nicht. »Finanziers, dummes Zeug«, sagte er, »der verdammte Kerl hat den finanziellen Interessen des Landes schlimmen Schaden zugefügt. Unverbesserlicher Keynesianer.« »Stimmt«, pflichtete ihm der Praelector bei. »Andererseits gibt es da eine gewisse Person, Lady möchte ich sie nicht nenne, weil sie meines Erachtens keine ist, obwohl sie den Titel trägt ... Sie verstehen, worauf ich hinaus will?« »Allerdings, und lassen Sie mich raten, was die Namen der beteiligten Anwälte betrifft. Das waren nicht zufällig Lapline und Goodenough?«
»Das weiß ich nicht. Der Obertutor hat sich da nicht in die Karten sehen lassen. Doch sechs Millionen Pfund sind nicht zu verachten. Damit haben wir eine Kriegskasse gegen dieses Ungeheuer Hartang.«
Er lächelte kurz, und der Dekan bestätigte mit einem Kopfnicken, daß diese Aussage zutraf. »Leider haben wir dadurch auch einen neuen Fellow bekommen, dessen Vorleben wir meines Erachtens gründlicher untersuchen sollten. Woher kommt er? Der Obertutor war doch wohl in der Lage, dem Collegerat diese Information zukommen zu lassen?« »Universität Kloone. Er hat sich anscheinend auf die Forschung über Verbrechen und Strafmaßnahmen spezialisiert, und sein Hauptwerk ist ein dicker Wälzer über Erhängen, der
Fallstricke heißt. Ich selbst kenne es zwar nicht, habe aber von Leuten, die solche Bücher lesen, gehört, es sei ein Standardwerk.«
»Und er ist wohl gegen Tod durch den Strang«, sagte der Dekan.
»Davon gehe ich aus. Die Witwe hätte ihn nicht finanziert, wenn er die Todesstrafe befürwortete«, sagte der Praelector. »Aber Sie werden ihn heute abend kennenlernen. Es ist sein Einstandsdinner. Ich selbst habe ihn noch nicht gesprochen, wir müssen also einfach mal sehen, was man uns da vorgesetzt hat. In der Zwischenzeit haben wir den Schatzmeister in die Nervenklinik gesteckt, in die er ohnehin gehört, und wir haben sechs Millionen Pfund in der Kasse. Und falls Retter und Wyve die Lage nicht völlig verkennen, haben wir ...« »Den Gangster Hartang am Skrotum«, schloß der Dekan. Der Praelector bestätigte, daß ihm dieser Gedanke auch gekommen war, obwohl er ihn zurückhaltender formuliert hätte. »Und mehr noch«, fuhr er fort, »dieser Kudzuvine steht uns zur freien Verfügung. Präziser gesagt, er ist unsere Geisel.« Das brachte sogar den Dekan zum Lächeln. »Ich muß Ihnen gratulieren, Praelector. Für einen Mann Ihres Alters haben Sie erstklassige Arbeit geleistet.«
»Das Alter hat wohl nichts damit zu tun, Herr Dekan, außer in folgender Hinsicht: Ich hatte das Glück, in eine Zeit hineingeboren zu werden, da Britannien die mächtigste Nation auf Erden war und der Sklavenhandel der Vergangenheit angehörte. Zugegeben, es war nur ein kurzer Augenblick der Geschichte, doch die Redensart ›Ein Engländer steht felsenfest zu seinem Wort‹ hatte damals noch eine gewisse Berechtigung, heute ist das anders. Männer wie Maxwell – der natürlich in Wirklichkeit Hoch hieß – und der Abschaum, der Wilson in den Adelsstand erhob und Mrs. Thatcher hervorbrachte, haben diese einstige Gewißheit ins Lächerliche gezogen.«
»Meine eigenen jüngsten Erlebnisse haben mich davon überzeugt, daß irgend etwas schrecklich schiefgelaufen ist«, bestätigte der Dekan unglücklich. »Ein schlimmer Verfall der Sitten hat eingesetzt.«
»Ja, so ist es«, fuhr der Praelector fort. »Als ich jung war und wir so tun mußten, als wären wir Ehrenmänner, mußten wir uns ehrenhaft benehmen, um diese Fassade aufrechtzuerhalten. Das war die größte Tugend, zu der uns die Heuchelei verpflichtete. Und Heuchelei war schon immer eine sehr englische Eigenschaft.«
Der Dekan ließ ihn allein dasitzen und mit traurigem Weitblick über jene große Vergangenheit nachgrübeln, als Korruption und Lüge noch keine akzeptierten gesellschaftlichen Normen waren. Solche Verfehlungen hatte es zwar immer gegeben, und es würde sie immer geben, doch damals waren sie noch nicht weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptabel gewesen. Krieg war nötig gewesen, zwei Weltkriege, in denen Millionen im Kampf für Versprechen gestorben waren, die nie
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