Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
berücksichtigt wurden. Zugleich betonte der CAS jedoch, dass es sich bei dieser Entscheidung zugunsten von Pistorius um eine ausdrückliche Einzelfallentscheidung handele, aus der kein automatischer Anspruch für vergleichbare zukünftige Fälle abzuleiten sei. Pistorius wäre also für die Spiele startberechtigt gewesen, doch blieben ihm nach dieser späten Entscheidung nur sechs Wochen Vorbereitungszeit für die Spiele. Er verfehlte die Norm sowohl für die 400-Meter-Strecke als auch für die Staffel.
Als ich meine Beine verlor, da machte Sport erst einmal keinen Spaß mehr, weil ich am Anfang den Rollstuhl nicht richtig bedienen konnte. Ich konnte damit noch nicht schnell und wendig umgehen, geschweige denn den Alltag adäquat bewältigen. Deswegen war Rollstuhl-Basketball keine wirkliche Alternative. Der Korb war auch viel zu weit weg von da unten. Da hatte ich dann erst recht keine Lust. Das habe ich ein paar Mal gemacht, bin einmal ordentlich hingeflogen, und dann war mir das auch, glaube ich, damals einfach zu klischeehaft. Damals haben das viele Rollstuhlfahrer gespielt, auch im Reha-Zentrum. Und da mir das Zentrum generell nicht gefiel, versuchte ich mich hier eher abzugrenzen. Sport verbindet, Sport hält dich fit, macht den Geist frei. Bewegung war immer ein Teil meines Lebens. Aber nicht so.
Irgendwann entdeckte ich das Handbike für mich und kaufte mir eine Version – ich glaube, es gab damals sogar schon einen Krankenkassenzuschuss –, die man vorne an den Rollstuhl adaptieren kann. Mit dem Rad bin ich dann auch schon ein bisschen weitere Strecken gefahren. Anfänglich 10 bis 15 km. Das war für mich am Anfang noch viel ...
Bald fuhr ich auch auf eigene Faust in die Stadt – von Eberstadt nach Darmstadt –, obwohl ich hin und wieder Angst hatte, vielleicht nicht zurück zu kommen. Diese ersten Wege allein mit dem Handbike waren der Startschuss für meine selbst erarbeitete Mobilität.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Sport in meinem Leben nach dem Unfall wieder eine solche Bedeutung einnehmen würde. Ich ahnte zwar, dass etwas in mein Leben tritt, das mir viel Spaß bereitet. Aber Ideen oder eine konkrete Vorstellung hatte ich in der ersten Zeit noch nicht. Da war eher der Weg das Ziel.
Irgendwann war ich mal auf dem Hockenheim-Ring – damals noch mit alter Streckenführung; die ging kerzengrade durch den Wald. Auf dieser Trasse konnten die Rennwagen bis zu 300 km/h fahren. Und es gab eine Handbike-Gruppe, die dort regelmäßig trainierte. Hier bin ich dann mal mitgefahren und hatte zum ersten Mal ein Liegerad unter mir. Das hatte ich mir vor Ort ausgeliehen. Als die anderen Fahrer mich damit sahen, meinten sie sofort: »Hey, das ist doch genau der Sport für dich! Du bist zwar amputiert, aber das sind super Voraussetzungen für diesen Sport.« Das war der Moment, in dem ich meinen Sport fand.
»Also waren Sie jetzt motiviert?«, fragte mich dazu mal eine Schülerin.
»Ja und nein«, habe ich ihr damals geantwortet, denn klar, es ist motivierend, wenn man sieht, dass auch andere, die ein Handicap haben, Sport treiben und dabei voll und ganz darin aufgehen. Das ist etwas anderes als Reha. Viel persönlicher – und gleichzeitig doch auch öffentlich, eben wie der Hockenheim-Ring. Wenn es öffentlich ist, dann misst du dich mit allen, denn alle schauen dir zu. Es gibt keinen Behindertenbonus. Es gibt entweder ein »Yes!!!« oder ein »No«.
Ich wollte auf jeden Fall das YES! Und ich wollte auf keinen Fall den Behindertenbonus und keine süßliche Motivation, die von einer Krankengymnastin oder Bewegungstherapeutin kommt: »Prima! Das machen Sie schon ganz gut, Herr Sitzmann! Jetzt versuchen wir es noch ein kleines bisschen schneller ... wenn es geht! Machen Sie nur so schnell, wie Sie können, und überfordern Sie sich nicht.«
Von wegen! Ich wollte mich überfordern – und ich wollte nicht, dass mir jemand vor der Nase rumfährt. Dass die Jungs schneller waren als ich, durchtrainierter und selbstbewusster, das war mein Ansporn und meine Motivation. Dass ich anfangs
hinterherhinkte, ging mir ganz schön gegen den Strich. Ich war angefixt! Also habe ich mir relativ zügig ein eigenes Fahrrad organisiert, es auf meine Maße und Bedürfnisse abgestimmt und angefangen, regelmäßig zu trainieren. Mein erstes Ziel war der Heidelberg-Marathon.
Natürlich gibt es auch für Rollifahrer mit Sportkarriere Verbände. Manche dieser Verbände existieren schon über 75 Jahre, weil
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