Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Behindertensport an sich ein Teil der Gesellschaft? Meiner Meinung nach nicht! Schauen wir uns doch nur in den Medien um: Es gibt viel zu wenig Sportler mit Behinderung, die mit ihren Medaillen in der Öffentlichkeit stehen, aufklären, Berührungsängste abbauen. Einfach ansprechbar sind und natürlich auf Fragen antworten. Aber sie werden ja auch selten gefragt ...
Mal ehrlich, wissen Sie, welcher Handbiker im Jahre 2004 Olympiasieger in der Klasse »Straßenrennen« in Athen war? Oder wie der bekannteste Rennrollstuhlfahrer der Welt heißt? Welche Handbikerin bei den Olympischen Spielen in London 2012 die Goldmedaille im Straßenrennen gewann?
Wenn Sie die Antworten auf diese Fragen nicht kennen, liegt das nicht nur an Ihrer Allgemeinbildung, sondern auch daran, dass behinderte Sportler keine Werbeverträge bekommen, wie sie ein Lukas Podolski bekommt, oder ein Philipp Lahm. Gibt es nicht. Und das liegt sicher nicht an mangelnder Fotogenität oder an ihren sportlichen Leistungen. Nur können sie eben nicht laufen ...
Da muss noch viel getan werden. Da fehlt etwas. Vielleicht fehlen uns einfach generell ein paar Menschen mit Behinderung mit Vorbildfunktion – in öffentlichen Ämtern und im öffentlichen Wahrnehmungsbereich. Der Finanzminister sitzt im Rollstuhl, ja. Er ist das prominenteste »Opfer« in unserem Land und ich habe großen Respekt davor, wie er seine Arbeit und sein Leben gestaltet. Aber er ist kein Leuchtturm für »unsere« Sache. Ohne Frage lässt er sich nicht hängen, man sieht
ihn immer wieder im Fernsehen und bei Pressekonferenzen. Aber das reicht nicht, aus meiner Sicht. Er müsste sich vielmehr die Inklusion auf seine Fahne schreiben und auch aktiv dabei sein. Er müsste auf Behindertensportfesten auftreten, nach Athen oder London fliegen, wenn dort die Paralympics ausgetragen werden. Er müsste sich eben dafür interessieren. Mit seinen Kontakten und seinem Einfluss hätte er ganz andere Möglichkeiten, um Inklusion und den Behindertensport voranzutreiben, als die meisten Menschen in unserem Land. Für ihn wäre es ein Leichtes, einen Lobbyismus für Menschen mit Behinderung zu betreiben und zu pflegen.
Um die Paralympics in London ist das mediale Interesse für Behindertensport kurzzeitig tatsächlich etwas gewachsen. Das ist auch gut so, denn nicht nur der Sport, auch die Menschen können anderen viel geben. Das alles ist doch nicht nur sportlich, sondern auch menschlich interessant. Wer hat schon eine Vorstellung davon, welche gewaltigen Hindernisse die antretenden Leistungssportler überwinden mussten, bis sie es hierher geschafft haben? Aus solchen Geschichten können wir doch alle etwas für uns ziehen! Und die wären medial bestimmt spitzenmäßig zu vermarkten.
Es muss dringend umgedacht werden und ein paar originelle TV-Formate müssen her, um Vorurteile abzubauen. Warum kann man nicht einer Rollifahrerin montags bis freitags eine Talkshow geben? Eine, die clever ist und gute Fragen stellt, Ausstrahlung und Grips hat. Warum geht das nicht? Die will ich sehen, damit die Vielfalt der Welt nicht nur vorhanden ist, sondern auch sichtbar wird . Ich bin mir sicher, dass in dieser Hinsicht sehr viel möglich ist.
Stefan Raab könnte zum Beispiel mal eine Wok-WM für Behinderte veranstalten. Das wäre doch super und ich wäre gleich mit dabei. Mit 100 Sachen durch den Eiskanal düsen
– das ist ganz nach meinem Geschmack. Gerade solche Leute, die verrückte Shows konzipieren, können Leistungssportlern mit Behinderung Türen in die Wohnzimmer der Menschen öffnen. Vielleicht befindet sich ja unter meinen Lesern jemand, der sich dieser Idee annimmt. Ich stünde jedenfalls zu allen »Schandtaten« bereit. Ja, lieber Herr Raab, ich schlag Sie gern, auch wenn sie der Spezies der Fußgänger angehören und ich nicht.
Zugegeben: Vor 15 Jahren hätte ich das noch nicht gesagt. Wenn ein Unfall passiert, dann braucht die Seele Zeit, bis sie sich von dem Schock erholt. Sport hat mir geholfen. Aber es war zunächst Sport, der Gleiches, oder besser Gleiche , miteinander verbindet. Eine künstliche Sphäre, in der sich Rollifahrer und Fußgänger kameradschaftlich auf die Schulter klopfen, weil sie es sich in einem Verband oder Verein vorgenommen haben, hätte ich in der ersten Zeit wohl kaum ertragen. Das kam erst später, als ich mich damit arrangiert hatte, dass ich nicht mehr Basketball spielen kann. Oder Eislaufen.
Man entwickelt sich weiter und irgendwann hat man sich selbst so
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