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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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ein ganz goldiger Opa war und wir uns super unterhielten, habe ich mich nicht bei ihm beschwert. Trotzdem war mir so hundeelend wie selten. Und das lag sicher nicht an der Schokolade.
    Solche Taxi-Katastrophen habe ich leider mehrfach erlebt, und deswegen fahre ich lieber mit Freunden oder meiner Liebsten Annika. Deren Fahrstil kenne ich, auch wenn es nicht meiner und damit eben doch nicht optimal ist. Außerdem nehmen die mich immer mit, was Taxis manchmal nicht tun. Ein, zwei Mal ist es mindestens schon passiert, dass ein Taxifahrer einfach vorbeifuhr, weil er wohl keinen Menschen mit Behinderung mitnehmen wollte. Das Auto war zumindest leer. Wahrscheinlich konnte er sich nicht vorstellen, dass man auch zügig und ohne großes Tamtam ins Auto einsteigen kann. Unflexibel war in diesem Moment allerdings nur er!
    Wenn ich ein Taxi bestelle , springt der Fahrer fast immer gleich heraus, um mir zu helfen. Merkwürdigerweise wollen sie mich auch immer hinten einsteigen lassen. Ich will aber lieber vorne sitzen, weil mir hinten noch schneller übel wird. Einmal fuhr mich ein Taxifahrer zu einer NDR-Sendung ins Studio. Er machte dabei einen extrem depressiven Eindruck und wollte gar nicht glauben, dass ich mit Handicap dennoch fröhlich und zufrieden bin. Später, in der Sendung, habe ich ihn dann übers Fernsehen gegrüßt und gehofft, ihn etwas aufmuntern zu können. Ich würde darauf wetten, dass er zugeschaut hat.

    Vielleicht wäre Taxifahrer auch ein guter Beruf für mich gewesen. Leute herumfahren und ins Gespräch kommen, das könnte ich mir auch jetzt noch gut vorstellen. Aber ich könnte mit meiner Behinderung nicht jedes Mal aussteigen und die Koffer verstauen. Meine Fahrgäste müssten sich dann allein mit dem Gepäck abquälen. Wirklich schade. Das ist ja keine vollendete Dienstleistung. Außerdem könnte ich auch gar nicht den ganzen Tag im Auto sitzen. Ich vergesse immer wieder, dass langes Sitzen mir nicht gut tut. Ich wäre bald bloß eine einzige Blasenentzündung am Steuer. Und ob ich das Auto unterm Hintern hätte, das mir gefallen würde?
    Aber ein bisschen träumen ist doch erlaubt, oder? Einen Versuch wäre es sicher wert. Spannend, was einem die Füßler im Taxi so erzählen könnten. Lebensgeschichten, Schicksale, Liebesgeschichten und vom Schwimmen im Meer ...

KAPITEL 4
Sport
    Vor meinem Unfall habe ich Basketball gespielt. Bei einer Körpergröße von 2.04 m war dieser Sport auch ziemlich naheliegend. Und ich habe unheimlich gern Eishockey gespielt. Ich war schon immer ein hibbeliger und unruhiger Geist. Sport stand zu jeder Zeit im Mittelpunkt meines Lebens und das sollte sich auch nach meinem Unfall nicht ändern. Obwohl es natürlich schwer ist, wenn man von jetzt auf gleich auf die Hälfte schrumpft. Es gibt auch Basketball im Rollstuhl, aber damit konnte ich mich nicht anfreunden. Das wäre kein ausreichender Ersatz für die Bewegung gewesen, die mir in meiner Kindheit und Jugend, gemeinsam mit meinen Brüdern und Freunden, so viel Spaß gebracht hat. Neben dem Sport auch dieses Rumtollen und Rumtoben. Wenn man sich bewegt, dann bewegt sich auch richtig was. Ob das jetzt der Ball ist, oder du selbst. Man kommt mit eigener Kraft schnell vom Fleck, das hat uns immer angespornt. Daneben, das weiß man ja heute aus der Hirnforschung, regt die Bewegung auch Gehirnregionen an. Wer sich mit dem Körper bewegt, ist auch im Hirn flexibel. Vielleicht ist das der Grund, warum Menschen, die einen Unfall hatten, insgesamt unbeweglicher werden.
    Dass ich darüber nachdenke, hat mit einer Lesung in einer Schule zu tun. Ich war angefragt worden, um über mein Leben und den Sport zu sprechen. Jugendliche bringen erst einmal Sport und Rollstuhl nicht zusammen. Für Jugendliche ist alles aus, wenn sie an den Rollstuhl denken. Deswegen werde ich oft eingeladen, damit ich zeigen kann, dass Menschen im
Rollstuhl keine Zombies sind, sondern Menschen, mit denen man sich messen kann. Auch sportlich. Sehr gern können ganze Klassen gegen mich mit dem Rad antreten. Ich bin zu jedem sportlichen Wettstreit bereit. Aber deswegen reise ich heute nicht in die Pfalz, zu dieser Klasse von 14-Jährigen, die sicher sonst sehr aufgekratzt sind, und die sich jetzt wohl überlegen, wie der so ist, der Typ ohne Beine, der nachher kommt, um über sein Buch und den Sport zu reden. Fast kann ich die Mädchen sehen, die sich mit einer erschrockenen Geste die Hand vor den Mund halten. Und die Jungs, die unter dem Brillenrand nach

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