Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
völlig erschöpft, aber glücklich, zuhause an und stellte mein Fahrrad gleich mit mir unter die Dusche, weil wir beide voller Dreck und Sand waren. Der Trainingsaufwand war enorm und sehr zeitintensiv, sollte sich aber auszahlen: Bei der WM fuhr ich die Silbermedaille ein.
Bei diesem Rennen lieferte ich mir ein spannendes Kopf-an-Kopf-Duell mit Hans Maierhofer. Hans ist auch doppelseitig
amputiert. Nach dem fliegenden Start preschten wir als »Amputierten-Gespann« vorne weg, ich weiß nicht mehr, wie viele Kilometer es damals waren, aber es waren 13 Runden auf einem Stadtkurs, der immer wieder kurz raus aus der Stadt und wieder hinein führte, mit kleinen Steigungen und leichtem Gefälle zwischendurch. Unser Topspeed lag bei rund 48 km/h. Wir haben das ganze Ding mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 39 km/h durchgezogen. Immer im Wechsel, mal der eine vorne, mal der andere, sodass der Hintere sich im Windschatten des Vordermanns mal ausruhen konnte. Meine Eltern und Großeltern spornten mich immer wieder ordentlich von der Seite an und waren alle völlig aufgelöst, weil jede Runde ein anderer von uns beiden vorne war. Es war ein unglaubliches Rennen.
Durch die Erfolge bekam der Sport für mich etwas Befreiendes, die Seele Reinigendes. Beim Fahren konnte ich völlig abschalten. Ich war nur noch auf die Maschine, meinen Körper, auf diese Strecke und auf die immer wiederkehrenden rotierenden Bewegungen fixiert und konzentriert. So ist es bis heute geblieben.
Sport kann mich in eine Art Trance versetzen. Du musst nicht quatschen. Hast Zeit für dich. Du spürst deinen Körper und bewegst dich schnell mit deiner eigenen Kraft vorwärts. Du kannst regelrecht spüren, wie dein Selbstwertgefühl gestärkt wird, wie dein Selbstbewusstsein wächst. Und plötzlich stehst du auf dem Treppchen, die Zuschauer feiern dich und du hast eine Silbermedaille in der Hand. Das ist ein umwerfender Moment, den man nie mehr vergisst und von dem man zehrt, wenn das Leben gerade mal nicht so läuft, wie man sich das wünscht. Man kann immer und jederzeit darauf zugreifen.
Natürlich ist Sport auch schlicht aus gesundheitlichen Gründen wichtig. Mit Beinen, ohne Beine, mit Armen, ohne Arme, sehend, blind, gehörlos oder mit Gehör – jeder Mensch sollte seinen Körper fit halten. Und je mehr er von vornherein eingeschränkt ist, desto notwendiger ist die Unterstützung von außen.
Für mich gewann der Sport mehr und mehr an Bedeutung. Neben der gewonnenen Fitness, der Beweglichkeit und den Muskeln, die mir bei der Bewältigung meines Alltags helfen, brachte er mich auch mental weiter. Denn wer an verschiedenen Rennen mit wechselnden Bedingungen teilnimmt, der lernt automatisch, sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Außerdem entwickelt man durch die Grenzerfahrungen, die man sammelt, wenn man sich bis zum Exzess quält, die Fähigkeit, sich auch in Ausnahmesituationen richtig einschätzen zu können. Durchhaltevermögen, Willensstärke, Entscheidungsfreudigkeit – all dies sind Dinge, die du bei solchen Rennen immer wieder abrufen musst und die du so in dir verfestigst, dass sie dir schließlich ständig, auch im Alltag, zur Seite stehen.
Auch dein Umgang mit »Gaffern« verändert sich. Bei Rennen ist man letztendlich ohnehin eine One Man-Show. Du fährst zwar mit anderen zusammen, vielleicht hast du auch ein Team, aber schlussendlich willst du den Preis allein nach Hause bringen – und dabei schauen dir viele Leute zu. Das prägt! Und diese Erfahrungen sind übertragbar.
Behindertensport hat mit Sicherheit einen integrativen Charakter, aber auch gerade die Einzelkämpferei kann das lockende Element sein. Jeder Mensch hat seine persönlichen Motive. Auch jeder Mensch mit Handicap. Ich empfinde es als Schubladendenken, wenn man glaubt zu wissen, was Behinderten gut tut. Mir gefällt daran das Wort schon nicht. Man sagt ja auch nicht, das und das tut Menschen gut, denn was für den einen passt, kann für den anderen lästig oder schädlich sein. Es kommt also auch beim Behindertensport auf den eigenen Typ an. Manche fühlen sich in der eigenen »Randgruppe« wohler als da »draußen« unter den »anderen«. Andere, so wie
ich, bevorzugen die gesunde »Mischung«. Ich bin zum Beispiel sehr gern mit Fußgängern zusammen und mache mit ihnen Sport. Das ist für mich dann eine besondere Herausforderung, mich hierbei zu behaupten.
Ja, ich mache Sport mit nicht-behinderten Menschen, aber ist der
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