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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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einen, dass er für die Umschulung die Woche über weit weg von seiner Familie war und dass ihm das Berufsförderungswerk für seine sonstigen Interessen einfach nichts Adäquates anzubieten hatte. So fing er an zu trinken, seinen Schmerz des Tages wegzusaufen. Wenn ich morgens in die Klasse kam, roch ich oft schon seine Guten-Morgen-Fahne. Er hatte offensichtlich überhaupt keine Lust, wenig Antrieb.
    Auch ich hatte bald keine Lust mehr auf diesen unkreativen Job und wollte schnellstmöglich raus aus dieser Maßnahme. Ich hätte alles gemacht: Ich hätte Briefe abgestempelt, ich hätte versucht, etwas zu gestalten, Säle geputzt oder irgendetwas. Es wäre egal gewesen. Ich wollte einfach nur raus aus diesem »Klassenzimmer« und mal etwas wirklich Produktives tun. Nach vier Monaten habe ich dann endgültig gewusst: Das ist gar nichts für mich. Also tat ich das für mich einzig Richtige: Abbruch und Neuanfang.
    Das war jedoch nicht ganz so einfach, denn wenn man einmal drin ist im Räderwerk der Bürokratie, kommt man nur sehr schwer wieder heraus. Und so musste ich mich ein paar Mal beim Psycho-Doc auf die Couch setzen.

    Ich war in meiner Karriere als halber Mann vorher nicht einmal beim Psychologen, weil ich einfach keine Hilfe gebraucht hatte. Deswegen war es jetzt für mich ein seltsames Gefühl, mich wegen so einer Sache durchleuchten lassen zu müssen. Und bei meiner Lebensfreude und meinem Aktionismus musste ich mir echt was aus den Fingern saugen, um aus der Geschichte wieder raus zu kommen – und aus dem düsteren Zimmer des Docs. Kein Wunder, wenn man in so einer Höhle depressiv wird!
    Ich musste also das erste Mal in meinem Leben quasi schauspielern, weil ich etwas erreichen wollte, das auf normalem Weg nur sehr schwer oder vielleicht auch gar nicht gegangen wäre. Nach einer Weile war das Thema aber zum Glück abgeschlossen, erledigt. Ich hatte wieder Zeit, um mich neu auszurichten und für mich zu klären, was ich mit der neuen Freiheit anfangen wollte. Mir war klar: Ich will mit meinen Händen arbeiten. Orthopädiemechaniker war schließlich der Beruf meiner Wahl. Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung zu bauen, das war ich in meiner Vorstellung toll und erfüllend. Also fing ich an, Bewerbungen zu schreiben. Leider platzte dieser Traum schnell, denn auf hundert Bewerbungen bekam ich hundertundeine Absage. Scheißspiel. Ich hätte nur einen Menschen, einen mutigen Ausbilder gebraucht, der mich unterstützte und mir den Weg ebnete, aber Fehlanzeige. Auch das Amt konnte mir nicht helfen. Schwer vermittelbar war ich. Und das nur, weil ich keine Beine habe.

    Wenn man sich im Internet umschaut und Stichworte wie »Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt« googelt, bekommt man Tausende Ergebnisse. Anscheinend gibt es in Deutschland so viele Anlaufstellen für behinderte
Menschen und ihre Suche nach Arbeit, dass es eigentlich kein Problem sein dürfte, einen Job zu finden, also eine »unterstützte Beschäftigung«. Auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird daran erinnert, dass im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Weiter heißt es dort unter dem Stichwort Teilhabe behinderter Menschen : »Daher ist es eine wesentliche Aufgabe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, als federführendes Ressort, Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung herzustellen und ihnen eine gleichberechtigte berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.« Hm, das klingt gut, als würde sich an oberster Stelle redlich bemüht.
    Ich finde auf dieser Homepage auch noch viele weitere Informationen über politische und soziale Initiativen. Zum Beispiel eine Internetplattform mit dem schönen Namen www.einfach-teilhaben.de . Hier werden Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen über Chancen und Möglichkeiten informiert. Und gleichzeitig spricht man Verwaltungen und Unternehmen an und ermutigt sie, das Wissen und Können von behinderten Arbeitnehmern ganz selbstverständlich beruflich zu nutzen.
    Oder Jobs ohne Barrieren , eine weitere Initiative des Bundesarbeitsministeriums, die sich gezielt an Unternehmen, also mögliche Arbeitgeber von Menschen mit Handicaps aller Art, richtet. Solche Anstöße sind wichtig und richtig, ich finde sie gut und will nichts klein reden. Ich muss sagen, es gibt deutschlandweit sehr viele Anlaufstellen und Initiativen. Trotzdem glaube ich, dass

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