Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
sicher was erzählt! Fragen hätte man mir schon stellen dürfen, es wäre nur auf das »Wie« angekommen. Etwa: »Wir stellen uns vor, dass es nicht so einfach für dich ist, hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wie ein Kind zu händeln ist?« Aber es gab niemanden, der fragte. Entweder hat sich keiner getraut oder es gab einfach nichts dazu zu sagen, weil ich ausstrahlte, dass es geht.
Ich war mir auf jeden Fall jederzeit sicher, dass es funktioniert, denn ich war jung und strotzte vor Kraft. Egal was kam, egal welcher Wunsch sich in mir regte, ich dachte immer: »Alles kein Problem!« Heute, ungefähr fünf Jahre später, würde ich einiges anders regeln. Wenn ich jetzt noch einmal Vater würde,
hätte ich den Wunsch, einige Aufgaben und Verantwortlichkeiten abzugeben. Zum Beispiel ist es für mich körperlich sehr anstrengend, einen Säugling regelmäßig zu versorgen. Hin und wieder war es sogar gefährlich. Wenn ich Emely als Baby auf dem Arm hatte, wo hätte ich sie schnell mal ablegen können, wäre es nötig gewesen? Andere Rollifahrer fahren einfach mit ihren Kindern auf dem Schoß durch die Gegend, aber genau der Schoß fehlt bei mir ja! Ich dagegen hatte das Kind auf einem Arm, musste aufpassen, sie festzuhalten, und rangierte mit der anderen Hand mit meinem Rollstuhl. Irgendwann fiel mir ein, mein Kind einfach in einer Babyschale zu transportieren; das war einfacher und sicherer. Auch in der Wohnung. Aber trotzdem – Emely musste schon Einiges mitmachen mit ihrem alten Herrn. Zum Glück war sie von Anfang an ganz schön robust.
Kindersitze für Rollstühle wären mal eine Erfindung wert. Dass es so etwas bisher nicht gibt, zeigt, dass die Gesellschaft hier noch zu lernen hat: Man rechnet wohl nicht damit, dass behinderte Menschen auch gelegentlich Sex haben und somit hin und wieder sogar Kinder zeugen. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ob ich so einen Kindersitz mal entwickeln sollte, schließlich haben ja auch andere Rollstuhleltern diese Schwierigkeiten. Wer keine Beine hat, muss entweder ständig eine Karre vor sich herschieben, in der das Kind liegt – was man aber vor allem zuhause sicher nicht dauernd machen will und vielleicht aus Platzgründen auch gar nicht kann –, oder das Babyhüten bleibt am Partner hängen. Dann bist du mal wieder »der Behinderte«.
Auch Kinderwagen schieben ist nicht so einfach, wenn man sich mangels Beinen mit den Armen fortbewegt. Das will geübt sein. Die Herausforderung wird sogar noch größer, sobald es bergauf oder bergab geht. Dann wird es richtig lustig! Also,
wenn Sie behindert sind und gerade ein Baby planen: mit dem Kinderwagen am besten die Ebene suchen, dann kann man sein Kind schön hin und her fahren. Bergtouren allein mit dem Kind sind als Rollifahrer nicht drin. Und dennoch ist vieles möglich, von dem man zunächst nicht glaubt, dass es funktionieren könnte. Immer wieder versuchen und ausprobieren – das ist für behinderte Menschen wichtig, um den eigenen Handlungsrahmen abzustecken und gegebenenfalls unterstützende Hilfen zu erbitten. Als ich mit dem Handbike unterwegs war, habe ich mir hinten einfach einen Kinder-Anhänger befestigt. Auf diese Weise konnte ich mein Kind hinter mir herziehen, und das war sehr praktisch. Es gibt viele Bereiche, in denen die eigene Kreativität gefordert ist und man sich einfach etwas überlegen muss. Unkonventionell zu sein, ist die schönste Herausforderung, die ein Handicap mit sich bringt. Das gilt auch für Alltäglichkeiten wie den Einkauf.
Wenn ich das Kind in den Einkaufswagen stelle, ist der Wagen schon zu drei Vierteln voll. Wo packe ich denn dann nur meine Einkäufe hin? Mit dem Auto und der Babyschale zum Einkaufen zu gehen, ist ein ordentlicher Aufwand; man braucht ausgefeilte Abläufe: Babyschale ins Auto, zum Supermarkt fahren, dort den Einkaufswagen holen, das Kind bleibt solange im Kindersitz im Auto und schaut kurz zu, wie sich Papi entfernt – jetzt bitte, bitte nicht anfangen zu schreien! Dann den Einkaufswagen vorsichtig neben das Auto stellen – wir wollen ja keine Kratzer im Lack –, Babyschale aus dem Auto heben und in den Einkaufswagen stellen. Das dauert natürlich eine Weile und ist bei strömendem Regen besonders lustig. Während des Einkaufens das Kind immer schön bei Laune halten, damit es im Einkaufswagen nicht anfängt zu weinen. Nach dem Einkauf alles wieder rückwärts. Das kann verdammt anstrengend sein!
Inzwischen gebe ich mir das nicht mehr und gehe
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