Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
lese, die wissen jetzt, dass es auch Menschen gibt, die nicht einfach in jedes beliebige Haus und auf jeden Rummelplatz gehen können. Wer weiß, vielleicht werden ja ein paar von ihnen Architekten und erinnern sich dann daran, dass für eine Vielzahl von Menschen Rampen eine prima Sache sind.
Ich kann meinem Kind Liebe und Geborgenheit schenken – das ist das Wichtigste, was es braucht. Außerdem kann ich es für das Leben fit machen, indem ich es bestärke, fördere, ihm Mut mache, neue Wege zu gehen. Am besten gelingt mir das, wenn die Umgebung lebensleicht und damit für mich stressfrei ist.
Zu meinem Vatersein gehört für mich auch, bei bestimmten Ereignissen Präsenz zu zeigen. Hin und wieder gibt es ein Elterntreffen in einer Kneipe in Darmstadt, in die ich mit dem Rolli allerdings nicht rein komme, weil davor Stufen sind. Also muss ich den anderen Eltern natürlich klar machen, dass sie bitte möglichst einen Ort für diese Elternabende wählen, der auch für mich zugänglich ist. Ich möchte ja daran teilnehmen und muss deshalb den Mund aufmachen, damit die anderen Eltern merken, dass nicht jeder Raum und Ort geeignet ist. Das nächste Mal ist es dann schon klar, aber von selbst wäre wohl kaum einer darauf gekommen.
Wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, dann dies, dass unser Land noch viel mehr Möglichkeiten bietet, damit wir alle aufeinander treffen. Von der Tanzschule bis hin zur Gärtnerei.
Unser aller Leben wird gewinnen, wenn wir die Welt nicht mehr aufteilen in gesunde und benachteiligte Menschen.
Wie gesagt: Diese gedankliche Hürde überwindet man am besten durch Begegnung mit denen, die unverblümt und unerschrocken hinschauen, die direkte Fragen stellen und sich nicht abwimmeln lassen – Kinder. Mit und von Kindern lerne ich fürs Leben. Sie sind mein Kreativpool und helfen mir, neue Lösungen und Antworten zu finden. Falls Sie Fußgänger sind und auch auf andere Handicaps verzichten müssen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich dennoch immer mal wieder von einem Kind begutachten und befragen zu lassen. Kinder sehen Details, die du selbst nicht siehst, und das ist oft ganz schön spannend.
KAPITEL 8
Natur
Seit Urzeiten tanken Menschen Kraft in der Natur, erfahren Harmonie, Ausgleich und kommen wieder zu sich selbst. Natur ist etwas Gigantisches, wenn man ihr die Chance gibt, es einem zu zeigen. Man denke nur an die anmutigen Berge oder die riesigen Wälder, die sich vor einem ausbreiten und die die Lunge von Mutter Erde bilden. Das saftige Grün im Frühling, das Hitzeflimmern über den Wiesen im Sommer, das flammende Bunt im Herbst oder das Puderweiß im Winter. Ich liebe die Natur. Nicht umsonst bin ich deswegen mit meinem Hand-Bike oder auch zu Fuß so oft draußen anzutreffen. Ich liebe es, mir den Wind um die Nase wehen zu lassen, wenn ich durch Gegenden fahre, die verborgen und abseits gelegen sind und wo ich meine Ruhe finde. Am liebsten fahre ich natürlich auf Straßen. Denn Sie können sich das sicherlich vorstellen und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass man sich als Mensch im Rollstuhl am ehesten auf Asphalt und gut befestigten Wegen fortbewegt. Und damit bin ich auch schon wieder abgeschnitten von all dem, was die Füßler so schätzen: steile Pfade, enge Täler, verborgene Böschungen, dichte Wälder oder gar das Dickicht des Dschungels ... Da komme ich schnell am meine (Mobilitäts-)Grenzen.
Meine Brüder und ich wuchsen im schönen Odenwald auf. Behütet in einem Nest mit Namen Georgenhausen und umgeben von purer Natur. Weit ab von der Straße, zwischen Kornfeld und Apfelbaum. Das tägliche Spielen am Bach oder das Errichten von Baumhäusern und Hütten im Wald gehörte zu
unserem Alltag. Wir hatten eine wirklich tolle Kindheit. Und das hatte, neben unseren liebevollen Eltern, auch mit Natur zu tun. In der Natur konnten wir unsere Kräfte loswerden – wohl auch zur großen Freude unserer Mutter, denn so waren wir abends ausgelastet und gingen ihr nicht mehr übermäßig auf den Keks. Rabauken wie wir müssen einfach raus und sich austoben. Heute wohnen wir alle in der Stadt und genießen die Vorzüge der erschlossenen Wege und Einkaufsmöglichkeiten, das Entertainmentangebot und die Nähe zu unseren Freunden. Und dennoch würde ich mich weiterhin als Naturmensch beschreiben.
Die Natur gibt einem Kraft. So sollte es zumindest sein. Mich kostet sie auch oft Kraft. Denn selbstverständlich würde ich auch gerne mit meiner Tochter Pilze suchen gehen. Aber
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