Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
immer mit einem Rucksack einkaufen. Aber ich brauche für alles meine Arme. Zunächst mal für meine eigene Fortbewegung, dann aber auch noch, um den Zwerg von A nach B zu setzen und Einkäufe einzupacken. Das ist wirklich anstrengend!
Zu dieser Zeit, als Emely noch ganz klein war, war ich abends oft völlig erledigt. Gut, andere Eltern auch, aber die klemmen sich das Kind zur Not einfach mal unter den Arm, wenn es brüllt, und gehen mit ihm um den Block, bis es ruhig wird. Solche einfachen Methoden hätte ich damals auch gern angewandt, aber bei vielen Dingen ist die Mithilfe einer zweiten Person einfach von Nöten.
Insbesondere auf Kinderspielplätzen gibt es Barrieren und es ist nicht leicht, ein Vater im Rollstuhl zu sein und mit dem Kind »einfach mal« dort zu spielen. Häufig sind die Flächen mit Sand bedeckt, sodass man als Rollifahrer nur ein paar Meter weit kommt, bis sich die Räder eingraben, blockieren und man stecken bleibt. Hurra! Strandurlaub ohne Rückfahrschein. Dann kann man warten, bis die Sonne aufgeht, während das Kind gerade von der Schaukel fällt oder einen Hang zu schnell nach unten krabbelt.
Das Gefühl, im Treibsand verloren zu sein, kenne ich auch von meinen Strandurlauben. Da stehst du, wenn du Pech hast, mitten in der Strandprärie und kannst dir an den Fingern abzählen, wann die nächste Flut kommt und was das Meer mit dir und deinem Rollstuhl macht. »Schiff ahoi«, kann ich da nur sagen, oder auch »Land unter«. Nun werden Spielplätze zwar nicht geflutet, aber anstelle von Sand täten doch auch Gummimatten gut. Die sind übrigens auch weicher für die Kids, wenn sie mal hinfallen.
Einmal wollte Emely, dass ich sie auf der Schaukel anschubse. Die Schaukel stand auf einer Sandfläche. Ich fuhr in den Sand und kam nicht wieder heraus. Konnte sie nicht mal anstoßen, weil ich genau im Schwungkanal der Schaukel geparkt hatte. Direkt neben der Sandfläche war aber zum Glück eine Wiese. Auf die habe ich mich dann gesetzt, den Rolli aus dem Sand gezerrt und mich auf der Wiese wieder hineingepflanzt. So konnte ich mich endlich erneut fortbewegen. Das ging aber alles nur, weil ich sehr sportlich unterwegs bin. Heute bin ich schlauer: Wenn Emely auf den Spielplatz will, erkläre ich ihr, dass wir noch jemanden brauchen, weil sie, wenn sie irgendwo hochklettert und allein nicht mehr runterkommt, warten müsste, bis die Feuerwehr kommt. Bei bestimmten Spielgeräten weiß ich heute, dass ich sie, wenn sie mit mir allein unterwegs
ist, dort nicht spielen lassen kann, eben weil ich ihr im Notfall nicht helfen könnte.
Nun sind auf Spielplätzen ja zum Glück auch oft andere Eltern mit ihren Kindern, die meine »hilflose« Situation erkennen und einfach für mich einspringen. Das ist toll! Noch schöner wäre aber eben doch mehr Anpassung der Ausstattung an die Bedürfnisse von Eltern mit Behinderung. Wir sind da wirklich eingeschränkt. Noch schwieriger ist es im Schwimmbad. Dorthin würde ich mit meinem Kind nie allein gehen. Viel zu gefährlich, denn ich käme nicht hinterher. Weggelaufen ist mir Emely allerdings noch nie – ich glaube, sie hat von Anfang an gewusst, dass ihr Vater ihr nicht adäquat nachkommen kann.
Letztendlich geht es doch nur um eins: um die berechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben, und die spielt sich – ganz besonders wenn man Vater ist – eben auch auf Kinderspielplätzen ab. Mit und ohne Rollstuhl.
Es gibt viele individuelle Lösungen im häuslichen Bereich und im eigenen Umfeld, die das Zusammenspiel von Menschen mit Behinderung mit ihren Kindern erleichtern können. Aber sobald es nach draußen geht, sind einige Dinge einfach nicht machbar. Das muss man akzeptieren und sein Leben danach ausrichten. Oder diese Bereiche umgestalten! Ich allein mit dem Kind auf dem Rummelplatz? Wie soll ein kleines Kind ohne meine Hilfe auf ein Karussell kommen? Da braucht es schon wieder Hände und Füße von außen. Manchmal verabrede ich mich mit anderen Familien, um Emely diesen Spaß mit mir zu ermöglichen. Ich bin dann zwar dabei, kann aber keine 100-prozentige Betreuung sicherstellen. Wenn du dir über solche Dinge den Kopf zermarterst und dir diese Einschränkungen große Schwierigkeiten machen, dann darfst
du als Mensch mit Behinderung kein Kind bekommen. Es ist wichtig, diese Barrieren zu erkennen und zu benennen, damit man mit ihnen umzugehen lernt und sie irgendwann verschwinden.
Die Kinder, mit denen ich in Schulen spreche, die Klassen, in denen ich
Weitere Kostenlose Bücher