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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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Ziemlich beste Freunde . »Kein Problem«, meinte die Frau an der Kasse, als sie meinen Rollstuhl sah, und wir wurden in den Raum eskortiert – weil man mir ja permanent irgendwelche
Türen öffnen muss ... Und dann standen wir da, genau unter der Leinwand, noch vor der ersten Reihe, wo man zum Film die Genickstarre noch gratis hinzu geschenkt bekommt. Also, wäre das jetzt so ein Monster-Mörder-Actionfilm gewesen, mit schnellem und hektischem Bildwechsel, dann wäre mir an diesem Platz im Gehirn sicher eine Steckverbindung durchgeschmort. Aber dadurch, dass dieser Film lange, ruhige Sequenzen hatte, war das Ganze halbwegs zu ertragen. Trotzdem hätte ich mir meinen Platz schon sehr gern selbst ausgesucht. So wie jeder andere auch. Oder man sollte zumindest einen Mindestabstand zur Leinwand einführen.
    Natürlich hätten wir uns den Film auch zu Hause ansehen können, aber das wäre dann nicht mal mehr Integration. Außerdem gibt es die DVDs ja erst nach einer bestimmten Zeit, und ich will doch mitreden und mit der Zeit sein. Auf dem Sofa ist es zwar gemütlich, aber da kommt keine Kinoatmosphäre auf. Das Popkorn schmeckt auch anders. Es ist wie beim Konzert. Das Erlebnis entsteht durch die anderen, die mit im Raum sind. Ich will die Stimmung spüren und die anderen im Saal lachen oder schniefen hören. Es gibt einige Kinos, die das erkannt haben und entsprechend eingerichtet sind. In diesen Kinos sitze ich dann mittendrin. Das ist toll, aber eben eine eher seltene, freudige Überraschung. Wenn du das Kino nicht kennst, dann sind Kinokarten wie ein Rubbellos.

    Wie viel besser ist es dagegen im Theater – zumindest in meiner Heimatstadt. Jedes Jahr an Weihnachten gehe ich ins Darmstädter Staatstheater. Im vergangenen Jahr war meine Tochter das erste Mal mit dabei. Der Zauberer von Oz , ganz toll inszeniert. Im Darmstädter Staatstheater kommt man als Rollstuhlfahrer in die Loge, wo du zusammen mit deiner ganzen Familie sitzen kannst und von der aus man einen fantastischen
Blick auf das Geschehen hat. Für mich ist die Loge auch deswegen praktisch, weil ich mich am Geländer aufstützen kann, während ich das Theaterstück verfolge. Das Aufstützen entlastet mein Gesäß.
    Das Staatstheater ist komplett renoviert und wurde sogar für den Große-Nike-Preis des Bundes Deutscher Architekten nominiert. Gewonnen hat es zwar nicht, aber für mich ist es dennoch absoluter Sieger, denn dieses Theater ist wirklich und wahrhaftig barrierefrei. Du kannst mit dem Auto unter das Theater fahren, alle Türen öffnen sich elektrisch und die Aufzüge liegen zentral. Außerdem ist alles super ausgeschildert.
    Ganz anders die Alte Oper in Frankfurt. Hier musst du im Parkhaus, in das du geleitet wirst, erst mal wie ein Pfadfinder den Weg suchen, um wieder ans Tageslicht zu kommen. Ein Logenplatz ist auch nicht drin, weil es im Gebäude keinen Lift gibt, sondern nur ein Treppensystem. Ich saß also mittendrin, war daher eigentlich komplett inkludiert. Nur als Kim Wilde, auf deren Konzert ich mich befand, schließlich auf der Bühne wild wurde, so richtig Vollgas gab, da war auch das Publikum animiert und ich sah plötzlich nichts als lauter Hinterteile in Stoffhosen, Cordhosen und Jeanshosen. In diesem Raum gab es keine Behindertentribünen, sondern nur ein paar Rollstuhlfahrerplätze in einer Reihe, was im Grunde cool war, denn es war ja zumindest der Versuch von Inklusion – leider nicht ganz geglückt, aber immerhin auf einem guten Weg.

    Einmal stand ich selbst auf der Bühne – für ein Kinderprojekt, das Musiktheater Farbula –, und war als Erzählonkel der Geschichte engagiert. Sehr viele Schulklassen waren in das Projekt eingebunden und es gab ein Orchester, das aus Kindern und Erwachsenen bestand. Das Besondere: Ganz viele der
kleinen und großen Akteure waren körperlich oder geistig behindert, aber trotzdem ins Stück eingebunden. Jeder hatte seine Aufgabe. Das war eine neue, tolle Erfahrung für mich, denn auf der Bühne gibt es keine Platzprobleme. Auch weil die Requisite Platz für einen reibungslosen Ablauf brauchte, kam ich mit dem Rollstuhl überall hin.
    Das Stück war eine riesengroße Bereicherung für alle Kinder und natürlich auch die Zuschauer im Saal. Durch diese außergewöhnliche Möglichkeit der Begegnung erlebten sie, wie schön es ist, sich verbunden zu fühlen, und sie übernahmen instinktiv Verantwortung. So wurden auf allen Seiten Berührungsängste abgebaut, und es war sehr schön mit

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