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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Sitzmann
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anzuschauen, wie die nicht-behinderten Kinder sich um die behinderten sorgten, sie führten, mit ihnen gemeinsam lachten und Spaß hatten. Das war Inklusionsarbeit nach meinem Geschmack.

    Filme wie Rain Man oder Forrest Gump leisten zwar auch amüsante Aufklärungsarbeit, aber was mich stört, ist die Tatsache, dass hier Menschen ohne Handicap Behinderte nachahmen. Warum kann man behinderte Rollen nicht mit einem Menschen mit Behinderung besetzen? Stattdessen werden Schauspieler ausgewählt, die wahrscheinlich in ihrem Leben zuvor noch nie in einem Rollstuhl gesessen haben. Das Ergebnis ist dann meistens nicht mal Schauspielerei, sondern Nachahmerei oder ein Bauernschwank.
    Wenn man sich mit diesem Rollstuhlleben auskennt, erkennt man oft mit einem Blick, ob sich ein Schauspieler mit der Rolle des Behinderten auseinandergesetzt hat oder sich einfach nur in einen Rollstuhl hockt. Zuweilen werden dann Nebenrollen mit Behinderten besetzt, damit Filme, in denen eine Behinderung im Mittelpunkt steht, nicht zu gekünstelt wirken. Für die Kritiken ist das sicher wichtig, hat dieses Vorgehen
doch Alibi-Wirkung – nach dem Motto: »Was wollen Sie denn, es hat doch ein Behinderter mitgewirkt!« Mit gewürgt würde besser passen.

    Einer der ersten Filme mit einem echten Behinderten, den ich sah, war Kenny . Das war ein Junge, der, weil er von Geburt an keine Beine hatte, auf seinen Händen lief. Leider zeichnete der Film kein sonderlich ermutigendes Bild, denn natürlich muss bei einem Film mit Behinderung immer auch Diskriminierung eine Rolle spielen. Das gehört wohl zum politisch korrekten Protokoll – und zur Dramaturgie.
    Und doch: Filme über Menschen mit Behinderung, ob Dokumentation, Drama oder Komödie, erreichen viele Menschen auf allen Ebenen. Die Charaktere haben eine Vorbildfunktion und die Zuschauer übertragen das Gesehene häufig auf ihr eigenes Leben. So wie die Protagonisten in Ziemlich beste Freunde . Sie vermitteln etwas unheimlich Motivierendes und Lebensbejahendes. Der Film zeigt: Es ist völlig egal, was du erlebt hast, ob du in den Slums aufgewachsen bist oder eine Behinderung hast – du kannst trotzdem einen Weg finden, mit deinem Leben etwas Sinnvolles anzufangen und es zu genießen. Und obwohl in diesem Fall die Geschichte gespielt ist, sind im Abspann die wirklichen Akteure der Story zu sehen, wodurch die Zuschauer noch zusätzlich berührt werden. Der Film wirkt lange nach und deswegen denke ich, dass ich ihn mir noch mal anschauen werde – und dann vielleicht sogar in einem Kino, in dem das ohne Genickstarre möglich ist. Das sollte wohl möglich sein ...

KAPITEL 10
Mode
    Es gibt vieles, das Menschen mit einem Handicap nicht mehr tun können. Und vieles, von dem sie glauben, es nicht mehr tun zu können – obwohl es durchaus noch machbar ist. Vielleicht können sie es nicht mehr genau so wie früher tun, aber verändert, als Variation, geht es immer noch. Und wer sagt denn, dass Variationen nicht genauso Spaß machen können wie das Gewohnte, das Naheliegende? Denken wir mal an Sex, da sind es doch gerade die Variationen, die die Leidenschaft erhalten, und nicht das ewig Gleiche und »Normale«.
    Ich habe bisher viele Menschen mit einem Handicap getroffen, die erst einmal nicht über Variationen nachdenken wollten, sondern nur im bisher Gewohnten – und damit nicht mehr Möglichen – das Alleinseligmachende sahen. Sie sehnten sich zurück nach dem ganz gesunden, dem ganz vollkommenen Zustand. Ein Leben mit funktionierendem Kopf, Geist, Armen und Beinen. Ein Leben, in dem es ganz selbstverständlich und natürlich ist, beispielsweise einen Maßschneider aufzusuchen. Aber warum soll das mit einer Behinderung nicht auch möglich und selbstverständlich sein? Soll ich denn, bloß weil ich keine Beine mehr habe, oben herum nichts anderes mehr tragen als ausgeleierte Sweatshirts oder langweilige Baumwollhemden?

    Nur wenn ich mich selbst und meinen Körper liebe, kann ich auch andere lieben. Das hängt alles miteinander zusammen. Wenn ich drei, vier Tage hintereinander Sport treibe und
mich danach stark und schön fühle, dann spüren andere das auch. Weil ich das ausstrahle. Zu einem guten Körpergefühl passt dann eine passende »Verpackung«. Ich will mich gut fühlen, das steht jedem Menschen zu. Und jeder sollte danach streben, ob mit oder ohne Handicap. Was Vorbilder und Idole angeht, liegen ganz klar die Füßler wieder vorn im Rennen. In jeder Zeitung, Plakatwand und in

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